UMFÄRBUNG, DER TRAGÖDIE ERSTER TEIL: AUCH DU, ORF
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss nicht unabhängig „bleiben“, er muss unabhängig werden! Und nicht nur er.

DIE UNABHÄNGIGKEIT DES ORF SOLL AUSGEHÖHLT WERDEN BIS SIE FÄLLT
Heute Vormittag habe ich ausnahmsweise eine Unterschriftenaktion unterzeichnet — so wie es in unserer Welt an allen Ecken und Ecken brennt, käme man ja zu nichts anderem mehr –, nämlich die zum Erhalt der Unabhängigkeit des ORF.
Damit bereitet die Regierung eine Machtübernahme im ORF vor. In Zukunft haben ÖVP und FPÖ eine 2/3-Mehrheit im ORF-Stiftungsrat und könnten wichtige Führungspositionen mit ParteifreundInnen besetzen.“
Weiters werden via Medien Äußerungen lanciert, dass die Abschaffung der Rundfunkgebühren erwogen werden sollte (wie das gerade in der Schweiz das dortige FPÖ-Pendant SVP per Volksentscheid versucht). Damit die öffentlich-rechtlichen Medien in direkte Abhängigkeit von Finanziers aus der Wirtschaft geraten. Was das Ende ihrer Unabhängigkeit bedeuten würde.
Wir sehen in Ungarn und Polen, wie es auf diesem Weg weitergehen wird (es gibt noch mehr solcher Länder, die aber in den Medien weniger oder gar nicht präsent sind). Ob in Europa, in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, in den USA, in Afrika und Asien… — es ist auf der ganzen Welt die gleiche Strategie: Das Geistesleben (die öffentlich-rechtlichen Medien und das verstaatlichte Bildungswesen) auf Regierungskurs zu bringen bzw. – falls die Regierungsmacht dafür (noch) nicht aus reicht – es zumindest zu diskreditieren.
PROPORZ: DIE SANFTE KORRUPTION
Gerade in Österreich ist es ein tief verwurzeltes Missverständnis, dass es normal ist, wie sich die Parteien und die ihnen nahestehenden Interessenverbände wie Pilzsporen überall im öffentlichen Leben einnisten und wuchern. Wo sie sich einmal festgesetzt haben, breiten sie ihren Einfluss unermüdlich aus bis sie alles kontrollieren. Je höher und damit einflussreicher ein Posten, desto größeres Gewicht wird darauf gelegt, dass er von einem willfährigen Werkzeug der XY-Partei besetzt wird. Für seinen Aufstieg revanchiert er sich mit Gefügigkeit (andernfalls seine Karriere ein jähes Ende findet). Und alle – Beteiligte wie Bürger – sind zufrieden, weil das ja wie schon immer nach Proporz geschieht: Die Posten werden entsprechend dem aktuellen politischen Kräfteverhältnis an Parteigänger vergeben. Also ist alles ganz demokratisch und völlig in Ordnung. Weiter in der Tagesordnung. (Dieses Prinzip der sanften Korruption ist überall auf der Welt dasselbe, nur wird es nicht auch noch mit einem eigenen Begriff quasi legitimiert.)
Nur selten regt sich Widerstand dagegen, meist bei den großen Umfärbungen nach den Wahlen. Die letzte ÖVP-FPÖ-Koalition (Schüssel/Haider) hat sich nicht nur durch eine nie dagewesene Korruption ausgezeichnet, die die Gerichte bis heute beschäftigt. Sie hat auch die Republik mit bis dahin einzigartiger Unverschämtheit und Brutalität umgefärbt. – Dann kam Rot – und das Ruder bei der Umfärbung wurde wieder nach links gelegt. Genauso werden nun von der derzeitigen ÖVP-FPÖ-Regierung alle einflussreichen und hochdotierten Posten wieder an die eigenen Parteisoldaten übertragen.
Das Geschrei erhebt sich aber nicht prinzipiell gegen dieses System der sanften Korruption, sondern nur gegen den Richtungswechsel: SPÖ-Sympathisanten, die sich bei der seinerzeitigen Besetzung der Posten durch SPÖ-nahe Personen schön still gehalten haben schreien jetzt Zeter und Mordio, während die türkis-blauen Sympathisanten, die bis vor kurzem noch wütend gegen dieses System gepoltert haben und versprachen, diesen Saustall auszumisten, sich nun darin breitmachen und sich zufrieden die Hände reiben. Und beim nächsten Regierungswechsel werden die Rollen wieder umgekehrt sein.
DAS SYSTEM IST DAS PROBLEM. ALSO KANN AUCH DIE LÖSUNG NUR IN EINER SYSTEMÄNDERUNG LIEGEN.
Es ist ein klares Indiz für ein systemisches Problem, wenn zwar die Personen wechseln, das System jedoch das gleiche bleibt. Darum sollte langsam klar werden, dass nicht die Personen und Parteien das eigentlich Problematische sind: Das System ist das Problem.
Interessant ist, dass zwar alle sich beschweren, wenn sie zeitweilig nicht die Nutznießer, sondern die Benachteiligten dieses Systems sind, aber dass keiner das System selbst verändern will. Weil alle davon profitieren. Nicht zur selben Zeit; nacheinander. Deshalb sagt man, es funktioniert. Es ist systemische Korrumpierung, aber sie funktioniert – für ihre Nutznießer. Also wird regelmäßig lautstark geschimpft, aber niemand stellt das korrupte System an sich in Frage.
Deshalb ist die o.g. Umfrage wie alle anderen nur Symptombekämpfung. Sie sorgt für ein gutes Gewissen, und das ist bekanntlich ein sanftes Ruhekissen. Doch das eigentliche Übel lassen solche Aktionen unangetastet. Das Grundübel heißt staatlicher Einfluss auf Medien und Bildungswesen.
So lange nicht erkannt wird, dass der staatliche Einfluss auf die Presse, auf das Bildungswesen, auf Forschung und Lehre usw. nicht bloß dann verwerflich ist, wenn nicht die „eigenen Leute“ dort schalten und walten können, sondern grundsätzlich: so lange wird sich an dieser systemischen Korrumpierung des Geisteslebens durch den Staat nichts ändern. Scheinlösungen gibt es zuhauf, aber die lindern nur die Symptome des Grundübels. Die einzige grundlegende Lösung heißt FREIHEIT DES GEISTESLEBENS – Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien und des Bildungswesens von staatlichen Beeinflussungen (wie auch von solchen der Wirtschaft, aber das ist ein anderes Thema).
ES BRAUCHT EIN ZWEITES RUNDFUNKVOLKSBEGEHREN
Wenn nun darüber nachgedacht wird, wie der ORF vor der Umklammerung durch die rechtskonservative Regierung bewahrt werden kann, so muss genauso darüber nachgedacht werden, wie er von der Umklammerung durch sozialdemokratische Parteigänger bewahrt werden kann. Die Lösung ist nicht, dass schön proporzmäßig ein Gleichgewicht zwischen Linken und Konservativen und Rechten herrscht! Das wäre so als ob man in Italien zufrieden wäre, wenn im Staatsapparat ein Gleichgewicht zwischen Camorra und ’Ndrangheta herrschte. Ein Gleichgewicht zwischen zwei Übeln ergibt noch lange nichts Gutes! Die einzige grundlegende Lösung sind Strukturen, die es allen politischen Kräften verunmöglichen, finanziell, inhaltlich und personell Einfluss auf den ORF zu nehmen.
Dafür kann man nicht auf diejenigen zählen, die von diesem System abwechselnd profitieren – Parteien und Politiker. Dafür braucht es ein zweites Rundfunkvolksbegehren*. Und zwar eines, das nicht nur scheinbar den Proporz abschafft, sondern mit jeglichem politischen Einfluss bis ins letzte aufräumt. Ziel dieses Volksbegehrens und aller strukturellen Umgestaltungen muss die wirkliche, d.h. die dauerhafte und restlose Befreiung des ORF von politischer Beeinflussung sein.
Eine echte Entpolitisierung bedeutet, dass der ORF-Stiftungsrat nicht mehr pseudo-repräsentativ – parteipolitisch – besetzt wird, sondern tatsächlich repräsentativ für die österreichische Gesellschaft: indem er repräsentativ aus der Gesellschaft ausgelost wird.**
*) Ich war zur Zeit dieses allerersten Volksbegehrens in Österreich vier Jahre alt und habe davon erst dieser Tage erfahren, als der ehemalige Chefredakteur des Kurier, Hugo Portisch, von „seiner“ ehemaligen Zeitung zur aktuellen Entwicklung bzgl. ORF interviewt wurde. Es lohnt sich, den diesbezüglichen Wikipedia-Artikel nachzulesen, insbesondere weil darin im Vergleich mit den momentanen Angriffen der Regierung auf die Unabhängigkeit des ORF überdeutlich wird, dass das Proporzsystem — obgleich de jure 1966 abgeschafft — im ORF-Stiftungsrat de facto nach wie vor funktioniert. Wenn es der Regierung so passt, setzt sie eine Zweidrittelmehrheit im Stiftungsrat durch und ersetzt ein unabhängiges Mitglied eben durch einen Parteisoldaten. Wenn es ihr beliebt, kann sie auch den Generaldirektor abberufen. Oder — wie die polnische Regierung — ein Gesetz beschließen, das seine Funktion abschafft und durch andere Funktionen ersetzt, die andere Funktionsträger (d.h. Parteisoldaten) notwendig machen. Ergo reicht das Rundfunkgesetz nicht für die absolute Autonomie des ORF aus, ergo muss es durch etwas Besseres ersetzt werden. Mittels eines weiteren Volksbegehrens.
** Im Februar 2018, wo ich diesen Beitrag geschrieben habe, war mir nicht bekannt, dass bereits 2013 (!) Armin Wolf den selben Vorschlag gemacht hatte. 👏