DIE DEMOKRATIE-DEMENZ

DIE DEMOKRATIE-DEMENZ

oder Wie die Parteiendemokratie sich selbst zerstört

Wie kommt es, dass sich wieder und wieder zynischen Opportunisten in politischen [und wirtschaftlichen, aber das ist ein anderes Thema] Spitzenpositionen finden? Egomanen, denen ihre Macht und Herrlichkeit über alles geht – insbesondere über das Allgemeinwohl jener Gesellschaft, die sie repräsentieren sollten?

Machiavellismus als politisches Erfolgsrezept

Die Antwort ist schlicht und ergreifend: weil ein System (Wahlen), das Machttaktik voraussetzt Machttaktik belohnt und bestärkt; weil ein System (Wahlen), das Opportunismus voraussetzt, eben Opportunismus belohnt und bestärkt. 🔄 Wo Machiavellismus ein Erfolgsrezept ist wie bei Wahlen, wird Machiavellismus gefördert und verstärkt.

Die Wurzel dieser systemischen Dynamik liegt im Wesen der Wahlen selbst. Um in einer repräsentativen Demokratie vom Souverän, dem Volk, legitime Macht übertragen zu bekommen, muss man gewählt werden. Also ist der Wahlerfolg das Apriori jeder politisch legitimen Macht: das "Macht-Apriori". Das hat zur Konsequenz: Erst kommt Machtpolitik, dann (vielleicht) Sachpolitik. Dieses Vielleicht räumt den Parteien den Spielraum ein, den sie verschieden ausnützen: die einen – z.B. US-Republikaner, FDP, CDU/CSU, AfD, FPÖ… – schöpfen den machttaktischen Spielraum aus so weit es geht, die anderen – z.B. US-Demokraten und europäische Grüne – tun sich schwerer damit. Erstere haben damit bei Wahlen den zu erwartenden Erfolg, letztere immer weniger. Allgemeiner gesprochen: Bei Wahlen sind i.d.R. Politiker und Parteien umso erfolgreicher, je mehr sie das Ziel ihres Wahlerfolgs strategisch über alle anderen inhaltlich-politischen Ziele gestellt haben, und je mehr sie auch das Inhaltlich-Politische an seiner politischen Performativität ausgerichtet und gefiltert haben: Welche Botschaft, welche Wortwahl, welches Framing kommt am besten an? Welche Inhalte müssen wir hingegen vermeiden? Das politische Programm und seine Vermittlung werden dadurch auf ihre performative Effektivität, ihre kommunikative Wirksamkeit reduziert. Der Zweck heiligt die Mittel, und weder irgendein Ethos noch ein gesellschaftlicher Sinn sind das Beurteilungskriterium einer solchen Politik, sondern vor allem ihre Effektivität. Deshalb: Machiavellismus.

Es war Machiavelli, der in seinem Il Principe radikal die politische Theorie von Ethik (und Religion) abkoppelte. Er konzipierte sie vielmehr "als autonome Wissenschaft von den Macht- und Herrschaftstechniken. […] Kriterien des Ethischen, die einmal den Vorrang hatten, werden verdrängt von denen der Effizienz" – so Philipp Rippel im Nachwort seiner Übersetzung von Machiavellis Il Principe (Reclam).

Darum geht es also in jeder Politik: um Macht- und Herrschaftstechniken, und um deren Effizienz. Die Wahl der Mittel richtet sich nach den jeweiligen politischen Verhältnissen: für eine Aristokratie rät Machiavelli wenn nötig zu Einschüchterung und Gewalt, aber der Werkzeugkoffer enthält durchaus auch die Tools für demokratische Wahlerfolge. Denn die Grundausrichtung ist dieselbe: Welche Techniken muss ich als Politiker anwenden, um an die Macht zu kommen und meine Macht zu stabilisieren? Ob als Fürst oder als Oligarch oder als demokratisch gewählter Politiker, ist dabei sekundär.

"Ein kluger Herrscher kann und darf daher sein Wort nicht halten, wenn ihm dies zum Nachteil gereicht und wenn die Gründe fortgefallen sind, die ihn veranlaßt hatten, sein Versprechen zu geben. […] Auch hat es noch nie einen Fürsten an rechtmäßigen Gründen gefehlt, um seinen Wortbruch zu verschleiern. Hierfür könnte man zahllose Beispiele aus neuerer Zeit geben […], und wer es am besten verstanden hat, von der Fuchsnatur Gebrauch zu machen, hat es am besten getroffen. Aber man muß eine solche Fuchsnatur zu verschleiern wissen und ein großer Lügner und Heuchler sein: die Menschen sind so einfältig und gehorchen so sehr den Bedürfnissen des Augenblicks, daß derjenige, welcher betrügt, stets jemanden finden wird, der sich betrügen läßt." (Niccolò Machiavelli, Il Principe / Der Fürst, Kap. XVIII; Reclam-Ausgabe S. 137)

Die Mittel ersetzen die Zwecke

Lange schien es eine stillschweigende Einigkeit in Gesellschaft und Politik darüber zu geben, was akzeptiert und was tabu ist. Doch dieser Grundkonsens ist in weiten Teilen zerfallen. Die moralischen Trennlinien waren nie wirklich deutlich und verbindlich, aber nun werden sie nach Gutdünken dorthin verschoben, wo es gerade nützt. Das Moral-befreite, kalte Nutzenkalkül kennt nur ein Beurteilungskriterium: Erfolg. Sobald der moralische Grundkonsens erodiert, heiligt der Erfolg auch die Mittel, die notwendig sind, um Erfolg zu haben. Was sich als erfolgreich erweist, wird gutgeheißen, was fehlschlägt, auf Grund seiner Ineffektivität verworfen. Es zählt allein der Endzweck, und der wird eben nur an sich selbst gemessen – daran, dass er erreicht wird, also am Erfolg: der selbstreferenzielle Zirkel ist geschlossen. 🔄

"Denn wenn man tatsächlich an nichts glaubt, wenn nichts Sinn hat und wenn wir keinen Wert bejahen können, dann ist alles erlaubt und nichts von Bedeutung. Dann gibt es weder Gut noch Schlecht, und Hitler hatte weder Recht noch Unrecht. All das ist gleichwertig. Und da wir meinten, dass nichts einen Sinn hat, war daraus der Schluss zu ziehen, dass derjenige Recht hat, der Erfolg hat, und dass er während der Zeit Recht hat, in der er Erfolg hat." (Albert Camus, La Crise de l’Homme, Ü: HpR)

Wenn für die Auswahl der Inhalte nur ihre machttechnische Instrumentalisierbarkeit und Effizienz relevant sind, werden sämtliche politischen Botschaften ihrer eigentlichen Bedeutung beraubt; es bleibt nur ihre instrumentelle Zweckmäßigkeit. So wie wenn man mit einem Buch einen Nagel in die Wand schlägt und den Wert des Buches danach bemisst, wie zweckmäßig es dafür ist. Was wiederum auf die Wahl der Mittel zurückwirkt: Nur solche Inhalte werden eingesetzt, die machttechnisch effizient sind; alle anderen werden als unzweckmäßig ausgefiltert. Wenn nur machiavellistische Mittel am Werk sind, kann auch das Ergebnis, die Politik, nur eine machiavellistische sein – von der Wahltaktik angefangen bis zu ihrem Ergebnis, dem Wahlerfolg. 🔄

Sobald der Wahlerfolg das primäre Ziel ist (als Macht-Apriori), verdrängen die Mittel zu diesem Erfolg den eigentlichen Zweck der Wahlen. Sie werden zum Selbstzweck. Und sobald Zweckmäßigkeit das entscheidende Kriterium beim Einsatz der Mittel ist, hat das Uneigentliche – das Mittel – sich an die Stelle des Eigentlichen – des Zwecks – gesetzt. Doch damit nicht genug: Sobald die machttechnische Effektivität jede Frage nach dem moralischen und sozialen Wert einer Politik erstickt hat, herrscht nur noch der egomanische Wille zur Macht. Das ist bei den allermeisten erfolgreichen (!) Politikern unübersehbar, am krassesten in den USA, aber in Deutschland zur Zeit außer bei der FDP auch an den Spitzen der CDU/CSU, AfD, des BSW; in Österreich bei der – soweit ich es überblicke: gesamten – ÖVP und Teilen der SPÖ… Womit sich auch hier der Kreis schließt: Erfolgreich ist, wer moralbefreit mit einem unbedingten Willen zur Macht agiert, machttechnisch mit dem nötigen machttaktischen Geschick, das jenes System (Wahlen) machttaktisch optimal zu nutzen weiß. Es ist perfekt für solche Typen designt; darum finden sie in ihm das perfekte Biotop, in dem sie wie ein invasives Unkraut ungehindert wuchern und alle anderen Gewächse verdrängen können. 🔄

Im kalten Reich der Effektivität, der Zweckmäßigkeit, der Macht haben Moral, Ehrgefühl, Anstand, Rückgrat, Mitgefühl, Empathie, Sozialität, Humanität… keinen Platz. Darum agieren Lindner, Söder, Merz, Kickl… und wie sie allerorts heißen heißen in ihrem zynischen Opportunismus unmoralisch, ehrlos, unanständig, rückgratlos, kaltherzig, rücksichtslos, antisozial, inhuman… Alle menschlichen Qualitäten haben sie längst auf dem Altar ihres Erfolges geopfert. Insofern ist eine Politiker-Karriere auch ein Filter, den nicht alle Menschen passieren. Je mehr man von seiner Persönlichkeit her diesem Muster entspricht, desto mehr ist man zum Erfolg als Politiker prädestiniert (und umgekehrt – weshalb Persönlichkeiten mit Anstand und Charakter wie Robert Habeck eine rare Ausnahmeerscheinung sind). Auch hier also ein geschlossener Zirkel: Der Opportunismus, zu dem das Macht-Apriori der Wahlen und Parteien systemisch nötigt, zieht Charaktere an, die in diesem System optimal gedeihen, sodass sie dieses Macht-Biotop durch ihren Erfolg rückwirkend bestätigen und bestärken. Politiker sind das Produkt des Macht-Apriori, das sie ihrerseits verstärken und verstetigen. 🔄

Populismus › weicher › harter Autoritarismus

Wie wenig der Begriff "Populismus" den Kern des Problems trifft, zeigt schon die Tatsache, dass es einfach nicht gelingen will, dieses "Proteus" habhaft zu werden. Mal sind die Politiker populistisch, mal sind es ihre politischen Inhalte, mal ihre Methoden, mal ist der Populismus rechts, dann doch aber wieder auch links… Der gemeinsame Nenner ist das Macht-Apriori. Seine systemische Logik führt lückenlos von Wahlen zum machttaktischen Opportunismus, für den wiederum Polit-Opportunisten am besten geeignet sind, und sie praktizieren dann eine zunehmend Werte-befreite, zunehmend von jeder Menschlichkeit gesäuberte Politik (zu der man charakterlich auch erst mal fähig sein muss), die rückwirkend von ihrem zweifelhaften Erfolg (eben vom Wahlerfolg!) immer wieder bestätigt und verstetigt wird. Der Teufelskreis ist geschlossen – oder besser die Todesspirale der liberal-pluralistischen Demokratie. 🔄

Politiker grenzen sich immer wieder demonstrativ von Populisten ab: Hier (wir) sind die Guten, dort (sie) sind die Bösen! Wir sind die Demokraten, sie sind die Feinde der Demokratie. Dabei erlebt man alle Tage, dass eine Demarkationslinie zwischen den "guten", "demokratischen" Politikern und den "bösen" populistischen, "antidemokratischen" Populisten schlicht nicht existiert. Polit-Opportunisten wie die Merz, Söder, Höcke, Wagenknecht, Kickl… und all ihre Parteigänger in der zweiten und dritten Reihe betreiben ständig populistische, d.h. machttechnisch optimierte Rhetorik und Politik (Beispiele erspare ich mir; man braucht nur tagtäglich ihre X-Statements und Presseaussendungen zu verfolgen). Populismus ist nicht etwas Anderes als die "gute" repräsentative Demokratie; er ist ihre konsequente Fortsetzung – mit ihren Mitteln. Er ist in jeder repräsentativen Demokratie latent oder schon virulent vorhanden. Wenn es die Umstände (Wahlen) erfordern, greifen Politiker eben in ihrer machttechnischen Werkzeugkiste zu diesem "schwereren Gerät". Und weil es sich – von allen "höheren Werten" bereinigt – als effektiver erweist, bleiben sie dabei. Darum degeneriert in den letzten Jahrzehnten jede Vorwahlzeit zur Hoch-Zeit des Populismus, und auf einer noch tieferen Degenerationsstufe herrscht überhaupt die ganze Legislaturperiode "Wahlkampf", sprich: populistische Rhetorik und Politik.

Ihre Konkurrenz hat dabei von vornherein schlechte Karten: Wer nicht – von allen höheren Werten bereinigt – machiavellistisch agiert, hat gegen Machiavellisten eigentlich keine Chance: "Don't bring a knife to a gunfight". Darum geht es seit Jahren mit den Grünen bergab: sie sind in dem Double Bind zwischen ihren moralisch-ökologischen Ansprüchen an sich selbst und dem polit-pragmatischen Macht-Apriori (Machiavellismus) zerrissen. Lindner, Merz, Söder… und wie sie alle heißen spielen nicht fair, sondern opportunistisch – nach ihren eigenen machiavellistischen Regeln: es zählt nur die Macht, d.h. es zählt nur der (Wahl)erfolg; egal, wie du ihn erreichst. Der Zweck heiligt die Mittel.

Die Frage, warum Politiker der ehemaligen "Volksparteien" ("bürgerlichen" Parteien, "Mitte-Parteien") beim Versuch, die "populistischen" Konkurrenten "inhaltlich zu stellen" immer scheitern, immer scheitern müssen, beantwortet sich hieraus quasi von selbst. Wenn in der Konkurrenz zwischen den Parteien die Inhalte von machttaktischen Winkelzügen unterlaufen und ins Abseits gedrängt werden, wer hat dann die entscheidenden strategischen Vorteile hinsichtlich Performanz?

Dass populistische Politiker sich immer mehr radikalisieren und brutalisieren, liegt in der systemischen Logik des Macht-Apriori. Ihre Politik wird im Laufe der Zeit immer unmoralischer, autoritärer, gewaltbereiter und gewaltsamer. Da die erfolgreichsten von ihnen auch die größten Virtuosen der opportunistischen Machttaktik sind, genießen sie auch bei ihrer Anhängerschaft den größten Rückhalt – bis zum blindwütigen Fanatismus, den sie nötigenfalls auch gezielt anstacheln. Die logische Linie führt also erst zu weichem, dann zu hartem Autoritarismus, und schließlich zum Totalitarismus. Albert Camus durchschaute auch das bereits während es 2. Weltkriegs:

"Und so wird die Welt dem Willen zur Macht ausgeliefert, das heißt letzten Endes dem Terror.

Denn wenn nichts wahr oder falsch ist, wenn nichts gut oder schlecht ist, und wenn der einzige Wert Effektivität ist, dann muss die Regel sein, sich als der Effektivste zu erweisen, das heißt der Stärkste zu sein. Die Welt ist nicht mehr in Gerechte oder Ungerechte geteilt, sondern in Herren und Sklaven. Recht hat der, der versklavt." (a.a.O.)

Das ist die strategische Ausrichtung jener Politiker, die weltweit im Begriff sind, die Demokratie demokratisch zu zerstören. Manchen reicht es, bis zum weichen Autoritarismus zu gehen, andere wählen härtere Bandagen, und die skrupellosesten schließlich gehen – all das mit zunehmender Deformierung der demokratischen Strukturen und Prozesse – bis zum knallharten Autoritarismus. In China und Nordkorea werden durchaus noch Wahlen abgehalten, aber…… (vgl. den Demokratie-Index).

Durch Wahlen in die Demokratie-Demenz

Was also vor ± einem Jahrhundert als zentrales Element der Demokratie und ihrer Stabilisierung gegen die Widerstände von Aristokratie und Klerus hart erkämpft wurde, die Wahlen, ist mit systemischer Notwendigkeit praktisch überall auf der Welt zu einer tödlichen Demokratie-Demenz degeneriert. "Demokratien sterben durch Wahlen" – sie sterben durch die Demokratie-Demenz, deren "Gen" in den Wahlen schlummert. Erst scheinen sie das Allheilmittel gegen Diktaturen zu sein, doch im Lauf der Jahrzehnte wird das Demokratie-Demenz-Gen aktiv, vervielfältigt sich und treibt durch das Macht-Apriori Parteien und Politiker in die beschriebenen Teufelskreise – in Opportunismus, Autoritarismus und Totalitarismus. Wer hofft, dieser tödlichen Demokratie-Degeneration mit einem anderen Wahlverhalten beikommen zu können, bedient sich eben der Mittel, die die Krankheit verursachen. Kein Wunder, dass das in den letzten Jahren – wenn überhaupt – nur als Notlösung und nicht dauerhaft funktioniert hat, sofern der verzweifelte Versuch, die liberal-pluralistische Demokratie auf dem Weg der Wahlen zu retten nicht überhaupt krachend gescheitert ist (vgl. USA 2024). Wahlen und Parteien waren im 20. Jahrhundert "die" Lösung: es ist ihnen in den meisten Staaten der Erde gelungen, die Gesellschaften von ihren monarchisch-theokratischen Fesseln zu befreien. Nun aber, im 21. Jahrhundert, sind sie nicht mehr Teil der Lösung, sondern Teil des Problems – sie sind das Problem. Der zynische Opportunismus der Parteien und Politiker (die Macht) verbindet sich mit dem zynischen Opportunismus der Milliardäre dieser Welt (dem Geld) zur GeldMacht.

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Je mehr Geld, desto mehr Macht, desto mehr Geld… In dem Verbund GeldMacht pervertieren sie die Demokratien erst zu Oligarchien, und wenn Macht und Geld untrennbar verschmelzen, zu Mafiastaaten. Von ihrem egomanischen Willen zur Macht getrieben, korrumpieren und zerstören sie alles, was ihn behindert: zuerst freie Medien, dann unabhängige Gerichte (Rechtsstaatlichkeit), überhaupt das Weltklima… – mit dem Endziel eines Totalitarismus der GeldMacht.

Und die Wahlen, an denen sich jetzt die Verteidiger der offenen Gesellschaft und der Rechtsstaatlichkeit festklammern? Sie degenerieren auf dem Weg dahin zur Karikatur (Manipulationen ›› Wahlfälschung…), und irgendwann haben sie sich schlicht erübrigt. Keiner braucht sie mehr, keiner will sie mehr, die GeldMacht herrscht in Oligarchien und Mafiastaaten, und die Zivilgesellschaft liegt erschöpft am Boden. Nein, wer sich im 21. Jahrhundert an Wahlen und Parteien festhält, versucht unwissentlich den Teufel mit Beelzebub auszutreiben.

Die Potentialentfaltung der Zivilgesellschaft durch Losdemokratie

Keine Partei, kein Politiker, nur eine Selbstbesinnung der Zivilgesellschaft auf ihr eigenes Potential kann sie retten. Ihr Potential, das heißt: was sie jetzt schon überall entfaltet hat, wo sie nicht daran gehindert wird:

  • Religionsfreiheit, Gedankenfreiheit, Redefreiheit, Kunstfreiheit, Pressefreiheit, Forschungsfreiheit, freie Schulwahl… sind die Säulen eines individuellen, liberalen, pluralistischen Geisteslebens. Jeder kann sich frei entfalten und nach seiner Fasson selig werden, so lange es niemanden sonst tangiert.
  • Wo die Selbstentfaltung des Einen auf die Unabhängigkeitsbestrebungen eines Anderen stoßen und diese einzuschränken drohen, beginnt der Bereich des Rechtslebens. Wenn das Gemeinwesen nicht in einem Kampf aller gegen alle versinken soll, müssen die Bürger nach dem Prinzip der Gleichheit und Gerechtigkeit ohne Ansehen der Person ihre Unabhängigkeits-Impulse austarieren. Auch die Rechtsstaatlichkeit mit ihrer Gewaltenteilung ist eine konkrete Manifestation des Gerechtigkeits-Impulses: sie ist das lichte Gegenbild jener düsteren oligarchischen Verhältnisse, die die GeldMacht herbeiführen will.
  • Überall, wo die Schwächeren nicht von den Stärkeren, die Machtlosen nicht von der GeldMacht daran gehindert werden, sind solidarisch-wirtschaftliche Kooperationsformen entstanden. Ein Wirtschaftsleben, an dem alle Interessengruppen mit-entscheidend teilhaben und in dem sie ihre Bedürfnisse in gegenseitigem Verständnis ausgleichen, entspricht dem sozialen Wesen des Menschen.

Dies ist der Kompass der gesellschaftlichen Potentialentfaltung:

  • FREIHEIT in allem Individuellen, d.h. im Geistig-Kulturellen,
  • GLEICHHEIT dort, wo die freien Bürger ihre Eigeninteressen in gerechten Übereinkünften austarieren (Rechtsleben, Staat), sowie
  • BRÜDERLICHKEIT dort, wo die Menschen in wechselseitigem Bedürfnisausgleich das größtmögliche wirtschaftliche Wohlergehen der größtmöglichen Anzahl herbeiführen.

Diese gesellschaftliche Potentialentfaltung hat derzeit noch ein Haupthindernis: den eigennützigen machttaktischen Opportunismus der Politiker und Parteien. Eine eigenständige Zivilgesellschaft, die die Entfaltung ihres Potentials in die eigene Hand nimmt; eine eigenständige Zivilgesellschaft, die ihre Gesetzgebung nicht mehr an Parteien delegiert; eine eigenständige Zivilgesellschaft, die ihre Regierung nicht mehr an Politiker delegiert: nichts könnte mit den Interessen der Parteien und Politiker heftiger kollidieren. Diese Zivilgesellschaft freier Souveräne, die ihre Eigeninteressen gerecht austarieren und ihre Bedürfnisse in gegenseitigem Verständnis befriedigen: sie ist keine Utopie. Sie ist nur ein erst teilweise entfaltetes Potential. Zur völligen Entfaltung kann es erst gelangen, wenn die Zivilgesellschaft ihre "freiwillige Knechtschaft" (Étienne de la Boetie) und ihre Gängelung durch Parteien und Politiker abschüttelt; wenn sie aus ihren eigenen Reihen legislative Körperschaften repräsentativ auslost (ich habe das von mir präferierte Verfahren nach Terrill Bouricius bereits von verschiedenen Seiten beleuchtet; vgl. z.B. hier). Solche repräsentativ ausgelosten und rotierenden Körperschaften können i.d.F. eine Regierung ernennen (und kontrollieren und ggf. absetzen). Die Richtlinienkompetenz – sprich: die Grundausrichtung hinsichtlich Moral, Ehrgefühl, Anstand, Rückgrat, Mitgefühl, Empathie, Sozialität, Humanität, Sozialität… – bleibt hingegen bei der Zivilgesellschaft, konkret: bei ihren temporär ausgelosten legislativen Vertretern.

Die rettende rEvolution

Die GeldMacht ist gerade dabei, das exakte Gegenbild einer solchen Gesellschaft zu etablieren:

  • UNFREIHEIT der Wissenschaft (insb. jeder kritischen Klimawissenschaft), der Forschung, der Lehre, des Journalismus; ideologische und religiöse Indoktrination in den Schulen…
  • KORRUPTION DES RECHTSSTAATS zur Oligarchie und zum Mafiastaat: Umbau der demokratischen Institutionen, Politisierung / Ideologisierung der Gerichte, autoritäre Exekutive, Marktstaat; Macht (Politik) und Geld (Wirtschaft) verschmelzen zur GeldMacht: Milliardäre in politischen Machtpositionen bzw. Vetternwirtschaft (Staatsaufträge…) regimetreuer Unternehmen –: "All animals are equal, but some animals are more equal than others".
  • HERRSCHAFT DER MILLIARDÄRE: radikaler Neoliberalismus führt zu Umverteilung nach oben und Neo-Feudalismus, zur Konzentration extremen Reichtums (bei gleichzeitiger extremer Umweltbelastung) bei Wenigen, während die Externalitäten und Kollateralschäden bei der Zivilgesellschaft und im globalen Ökosystem abgeladen werden…: zum größtmöglichen wirtschaftlichen Wohlergehen einer minimalen Anzahl.

Aufgrund der Demokratie-Demenz – aufgrund der Korrumpierung der Politik durch das Macht-Apriori, durch eigennützig-machttaktischen Opportunismus, durch Konzerne und ihre Lobbyisten… – ist von den gewählten Repräsentanten der Zivilgesellschaft genau nichts zu erwarten – wie die Stagnation oder sogar Regression bei der Klimapolitik am schreiendsten verdeutlicht. Parteien und Politiker sind das Problem. Die Demokratie-Demenz kann nicht mit den Mitteln geheilt werden, die sie verursacht haben – Wahlen. Da Parteien und Politiker alles daran setzen werden, sich nicht vom Souverän entmachten zu lassen, wird eine rEvolution unumgänglich sein – ein breiter Aufstand der Zivilgesellschaft, die ihren bisherigen Repräsentanten die Legitimation abspricht, die sie selbst längst verspielt haben. In meinem Manifest (dzt. wegen Revision nicht erhältlich) habe ich ein wechselseitiges Zusammenwirken von Zivilgesellschaft und Eliten vorgeschlagen:

Nur die scheinbare Alternativlosigkeit der repräsentativen Demokratie, die Angst vor einem Rückfall in Autoritarismus vernebeln den Blick auf demokratische, demokratischere Alternativen – auf eine repräsentative Losdemokratie.

Hanspeter Rosenlechner

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ZUR VERTEIDIGUNG DES RECHTSSTAATS

ZUR VERTEIDIGUNG DES RECHTSSTAATS

Am 19. Februar 2025 haben sechs Bürgerrechtsorganisationen eine gemeinsame Erklärung zur anstehenden Bundestagswahl veröffentlicht: "Gegen die Angriffe auf den demokratischen Rechtsstaat!" Die dort geäußerten Sorgen um die Rechtsstaatlichkeit teile ich ohne Einschränkung: die Infragestellung der Grund-/Menschenrechte, martialische Law-and-Order-Forderungen, exekutiven Ungehorsam (also die Strategie, Gerichtsentscheide schlicht zu ignorieren)

By Hanspeter Rosenlechner