DER SOZIALE KOMPASS FÜR UNSERE ZUKUNFT

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Die sozialen Unruhen – derzeit die im Iran, aber auch andere – haben viele verschiedene Ursachen. Ihre Wurzeln liegen aber in nur 3 Bereichen. Die Revolten richten sich gegen dreierlei Arten von Missständen und Fehlentwicklungen; d.h. im Umkehrschluss: sie kämpfen für dreierlei Veränderungen:

  • Uniformierung und Unterdrückung im GEISTIGEN – der Meinungsfreiheit, der religiösen Praxis bzw. Nicht-Praxis (Stichwort: Sittenpolizei, Glaubenswächter…), in der Benutzung der eigenen Sprache, im Ausleben der eigenen Kultur, …. Hiergegen richtet sich der Kampf für FREIHEIT.
  • Diskriminierung, Ungerechtigkeit, Freunderlwirtschaft, Korruption, inexistente oder nur teilweise Gewaltentrennung… im STAATLICH-RECHTLICHEN. Hiergegen erhebt sich der Kampf für GLEICHHEIT.
  • Armut, Elend, Ausbeutung, Existenzangst, Chancenlosigkeit… im WIRTSCHAFTLICHEN. Hiergegen erhebt sich der Kampf für BRÜDERLICHKEIT (oder, moderner ausgedrückt: Sozialität — Solidarität — Gemeinwohl…).

Es ist heute derselbe Aufschrei wie bei der französischen Revolution: FREIHEIT! GLEICHHEIT! BRÜDERLICHKEIT! Mit dem entscheidenden Unterschied, dass uns Heutigen zweierlei klar werden muss:

  1. sind diese drei Begriffe keine bloßen Motti, derer man sich nach Bedarf bedient, wenn man moralisch bekräftigen möchte, wofür die Argumente nicht ausreichen (wie das in Frankreich ständig von Politikern praktiziert wird). Das sind keine bloßen Schlagworte aus der Rhetorikkiste; das sind die realen gesellschaftlichen Grundbedürfnisse jedes Menschen. Sie sind so real wie Hunger und Durst für den Körper. Werden sie ignoriert und unterdrückt, provoziert das Widerstand und Aufbegehren — bis zu Revolten und Bürgerkriegen.
  2. gelten diese drei Begriffe aus dem eben genannten Grund nicht irgendwo und überall, sondern jeweils nur in einem der genannten Bereichen, in ihrem Bereich. Was man sofort erkennt, wenn man schaut, was passiert, wenn sie im falschen Bereich angewendet werden: Freiheit in der Wirtschaft etwa (führt zu Monopolbildung, Marktdominanz, Lohndumping, Sozialdarwinismus, Neoliberalismus…) oder im Rechtsleben (führt zu Willkür und Anarchie). Oder wenn Gleichheit ins Leben des Geistes übertragen wird: Meinungszwang, Gleichschaltung, Gesinnungsterror durch Religionen oder Ideologien. Etc. etc.

Die drei Begriffe lenken aber den Blick wie ein Kompass: dass der natürliche Impuls im Geistigen das Freiheitsstreben ist (konkret: Liberalität, Pluralismus), im Rechtlichen Gleichheit (konkret: Rechtsstaatlichkeit, Gewaltentrennung), und im Wirtschaftlichen Brüderlichkeit (nicht ethisch gemeint, sondern ganz nüchtern und konkret: Interessensausgleich, Bedürfnisbefriedigung durch Kooperation incl. der dafür notwendigen Strukturen). Deshalb haben sich die ersten beiden Impulse überall dort schon durchgesetzt, wo die Menschen nicht durch Machthaber daran gehindert wurden, während das Wirtschaftsleben hier am meisten hinterherhinkt. Noch.

Auch im Iran haben die Unruhen zu verschiedenen Zeiten verschiedene Ursachen. Sie fallen aber allesamt in diese drei Kategorien:

  • Entweder kämpfen die Menschen gegen die religiöse Unterdrückung durch die Mullahs für ihre geistige FREIHEIT,
  • oder sie erheben sich sich gegen Korruption, Ungerechtigkeit, staatliche Willkür (alle sind gleich, aber ein paar sind gleicher), mangelnde Rechtsstaatlichkeit, für GLEICHHEIT,
  • oder sie revoltieren gegen unerträgliche Existenzbedingungen und Zukunftslosigkeit, für soziale Verhältnisse, in denen alle genug zum Leben haben, für Strukturen, die das ermöglichen, für reale BRÜDERLICHKEIT.

Mir ist klar, dass es nicht nur zukunftsgerichtete Kräfte im Iran (wie auch bei uns) gibt, sondern auch Menschen, denen die Freiheit Angst einjagt, die Pluralismus verunsichert, für die Liberalität gleichbedeutend ist mit Orientierungsverlust. Das sind deshalb keine schlechten Menschen, aber sie sind mit der Freiheit überfordert. Darum suchen sie ihr Heil in einer Umkehr — in frühere Gewissheiten, unzweideutigen Verhältnisse, überlebten Strukturen. Vorwärts in die Vergangenheit! auf ins Retrotopia! Daher der Trend zu autoritären politischen Führern, zu undemokratischen Rechtsverhältnissen, zu Zwang und Unterdrückung. Aber auf lange Sicht wird sich das Bedürfnis nach geistiger Freiheit, nach Gerechtigkeit und Sozialität immer mehr geltend machen. Es ist à la longue nicht aufzuhalten.

Weil es sich bei den dreien nicht um bloße Schlagworte handelt, sondern um Realitäten, fallen alle Lösungsvorschläge, die sie nicht berücksichtigen in die Kategorie kurzfristige Scheinlösungen. Sie lindern Symptome, aber sie lassen die eigentliche Krankheit unangetastet — und sie tragen nichts zu einer sozialen Gesundung bei.

Jene drei Grundbedürfnisse sind für alle Menschen — wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß — dieselben. Insofern sitzen wir mit dem Iran im selben Boot, so weit wir auch scheinbar weg sind. Auch bei uns haben die Menschen diese drei Grundbedürfnisse, und auch in Mitteleuropa gilt der Kompass:

  • Wo es Tendenzen gibt in Richtung ideologischer Gleichschaltung, Nationalismus, Meinungszwang, Unterdrückung von Minderheiten, Diskriminierung von Menschen mit anderer sexueller, religiöser, weltanschaulicher, kultureller… Identität, Zensur…, da widerspricht das dem Grundbedürfnis nach FREIHEIT im Geistigen.
  • Wo Lobbyismus, Ungerechtigkeit, Korruption aufblühen, wo die Gewaltentrennung unterminiert oder ganz zerstört wird, da widerspricht das dem Grundbedürfnis nach GLEICHHEIT im staatlich-rechtlichen Leben.
  • Und wo die Menschen nicht mehr wissen, wovon sie leben sollen, wo der Sozialstaat ausgehöhlt wird, wo die Reichen immer Reicher und die Armen immer ärmer werden, wo der Nonprofit-Bereich ausgehungert und den Märkten ausgeliefert wird… –: da widerspricht das dem Grundbedürfnis nach BRÜDERLICHKEIT im wirtschaftlichen Leben.

Womit der Blick geschärft wäre für die drei Richtungen, in die der Kompass zeigt, der Kompass für grundlegende und nachhaltige Lösungen. Und die Richtung ist für jeden Menschen dieselbe, egal, wo man im Leben steht und wie viel Einfluss man hat. Darum kann auch jeder es im Prinzip sofort umsetzen. Denn das ist keine schöngeistige, moralische Zukunftsphantasie: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sind real, hier und jetzt— mehr oder weniger bewusst, mehr oder weniger weit entwickelt, in jedem Menschen angelegt. Klar ist, dass sie von selbst, ohne unser Zutun nur durch weitere Krisen und Katastrophen von einer inneren Realität zu einer gesellschaftlichen werden. Wir haben die Wahl: Einsicht oder Leidensdruck.

Was hält uns also auf? Der rechte Zeitpunkt, der Kairos für diese soziale rEvolution ist jetzt!

[Diese in kürzeren Abständen erscheinenden Beiträge setzen sich mosaikartig zu einem neuen Gesamtgesellschaftsmodell zusammen. Sie sollen dessen organische Schlüssigkeit und universelle Anwendbarkeit zeigen. Ihr eigentlicher Sinn und Zweck ist jedoch die Umsetzung dieses Modells – im Kleinen wie im Großen. Dafür müssen Sie weiter verbreitet werden. Vielen Dank dafür im Voraus!]

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ZUR VERTEIDIGUNG DES RECHTSSTAATS

ZUR VERTEIDIGUNG DES RECHTSSTAATS

Am 19. Februar 2025 haben sechs Bürgerrechtsorganisationen eine gemeinsame Erklärung zur anstehenden Bundestagswahl veröffentlicht: "Gegen die Angriffe auf den demokratischen Rechtsstaat!" Die dort geäußerten Sorgen um die Rechtsstaatlichkeit teile ich ohne Einschränkung: die Infragestellung der Grund-/Menschenrechte, martialische Law-and-Order-Forderungen, exekutiven Ungehorsam (also die Strategie, Gerichtsentscheide schlicht zu ignorieren)

By Hanspeter Rosenlechner