DIE REVOLTE GEGEN DIE AUFKLÄRUNG

DIE REVOLTE GEGEN DIE AUFKLÄRUNG

Als ich FGB 2015 begann, meinte ich die sichere Grundlage zu haben, um das ganze Buch darauf aufzubauen: Fakten. Hier die objektive Wirklichkeit, dort Irrtum, Fiktion, Lüge…

Dann kam Trump. Und mit ihm die „alternativen Fakten”. Ich hatte mich lange geweigert, ihn als Thema in das Buch aufzunehmen. Aber mit den „alternativen Fakten” waren irgendwann Fakten (!) geschaffen, die ich nicht mehr ignorieren konnte.

Seitdem ist nichts mehr wie davor. Fakten? Alternative Fakten? Information? Fake News? Wahrheit? Unwahrheit? Lüge? Verleumdung? Es wird alles in einen gigantischen Strudel hineingezogen, wo es keine Orientierung, keine Fixpunkte, keine verlässlichen Kategorien mehr gibt. „Turning, turning in the widening gyre…“

Bücher wie The Death of Truth und unzählige andere versuchen mit Verve dagegenzuhalten. Sie appellieren in klassisch-aufklärerischem Pathos an die Intelligenz, die Vernunft und an das kritische Denken.

Aber. Zu diesem Verstehen sind nur Menschen in der Lage und bereit, die verstehen können und wollen. Was die potentielle Leser- und Anhängerschaft radikal einschränkt. Denn dafür muss sich jemand in der gleichen Echokammer befinden, nicht in der, über die sich diese Autoren kritisch-polemisch auslassen und die sie aufklären möchten. Die wollen das nämlich überhaupt nicht; ganz im Gegenteil: nichts ist ihnen mehr zuwider. Daher die hasserfüllte Polemik gegen die Festungen jenes aufklärerischen Impulses (Wissenschaft, Forschung, Qualitätsmedien…) und deren Vertreter. Man braucht die Aufklärung nicht zu kennen, um sie zu verabscheuen und zurückzuweisen; man braucht es sich nur in seiner „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ gemütlich zu machen und die Tür hinter sich zuzusperren.

Ich frage mich: An wen richten sich solche Bücher? Wen wollen diese Autoren eigentlich aufklären? Die anderen, die Nicht-Aufgeklärten? Oder ihresgleichen, die ohnehin schon Aufgeklärten? Daran wird die Problematik deutlich: Nicht nur die Nicht-Aufgeklärten hocken in einer Echokammer, sondern genauso ihre Kritiker. Die kritisieren sie… aus ihrer Echokammer. Und merken nicht, dass kein Wort davon nach drüben dringt, zu jenen, denen ihre Botschaft eigentlich gilt (wenn dem überhaupt so ist!). Denn von denen erwarten sie im Grunde ja gar nicht mehr, dass sie zuhören – eben weil sie in ihrer erbärmlichen Echokammer gefangen sind. Q.e.d., der Zirkel ist geschlossen. Das kritisch-aufklärerische Bemühen hat darum etwas Tragikomisches. Die Kritiker strampeln sich auf einem Fahrrad ohne Kette ab, ohne dass ihnen bewusst würde, dass die Hebelwirkung fehlt. Wo es keinen festen Hebelpunkt gibt, gibt es auch keine Kraftübertragung.

Die aufklärerischen Kritiker des Kulturverfalls haben i.d.R. kein Bewusstsein davon, dass auch sie selbst in einem Kontext eingebunden sind, und dass alles, was in ihrem Kontext Gültigkeit und Wert hat in einem anderen Kontext ggf. nicht gilt und wertlos ist. Das ist der blinde Fleck der heutigen Echokammer-Kommunikation: ihr mangelndes Kontext- und Prozessbewusstsein.

Doch weit wichtiger, weil wirkungsmächtiger ist etwas, was unbewusst dahintersteht. In seinem programmatischen Aufsatz „Was ist Aufklärung?“ (1783) erklärte Kant:

Sapere aude!
Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Theil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen […], dennoch gerne Zeitlebens unmündig bleiben; und warum es Anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein.“

Das muss man sich, ohne der vordergründigen rhetorischen Emphase zu erliegen auf der Zunge zergehen lassen: Die Unmündigkeit ist selbstverschuldet! Sie ist nicht nur ein Defizit, sie ist ein moralischer Schandfleck, für den die Unaufgeklärten noch dazu selbst verantwortlich sind. Es fehlt ihnen nicht an Verstand, sondern, was viel verwerflicher ist, an Initiative und Mut, ihn zu gebrauchen! „Faulheit und Feigheit sind die Ursachen“ ihrer Unmündigkeit!

Wer würde es heute wagen, etwas derart Diskriminierendes laut auszusprechen?! Und doch liegt diese herablassende Arroganz, diskret kaschiert, bis heute der aufklärerischen Kritik zugrunde. Allein die unzählige Male zitierte „selbstverschuldete Unmündigkeit” birgt die ganze überheblich-moralische Verachtung der Intellektuellen Elite für all jene, die ihr – im doppelten Sinn des Wortes – nicht folgen können und darum auch irgendwann beschlossen haben, es gar nicht mehr zu wollen.

„Faulheit und Feigheit” – zu denkfaul, zu gewissensfaul, zu feig zum eigenständigen Denken und Handeln: das wird den Anhängern von Trump, Salvini, Wilders, Strache, Le Pen, Erdogan und wie sie alle heißen ständig von den Bannerträgern der Aufklärung vorgehalten. Und selbst wenn es „nur” unausgesprochen zwischen den Zeilen steht, wenn es nur der gespreizte, hochtrabende, exklusive (also alle weniger Intelligenten ausschließende) Schreibstil zum Ausdruck bringt, ist es deshalb nicht weniger erniedrigend. Diese intellektuelle Blasiertheit, die sich in ihrer Echokammer über die selbstverschuldet Unmündigen auslässt ist also keineswegs neu; sie ist der Geburtsschaden der Aufklärung.

Die Intellektuellen-Elite konnte sich das Jahrhunderte lang leisten. Einfach so, ohne dass „der Pöbel“ irgendetwas dagegen machen konnte. Doch dann kamen das Internet, Facebook und Twitter. Und mit einemmal fanden die abermillionen Unmündigen und Unaufgeklärten eine Stimme. Und gebrauchten sie. Lautstark. Und es fanden sich klarerweise sofort auch machtgierige Zyniker (s.o.), die das rücksichtslos für ihre Interessen ausnutzten. Und heute stehen wir vor dem Scherbenhaufen.

Der Populismus ist also zu einem erheblichen Teil eine Revolte gegen die Aufklärung: die Revolte der „Unmündigen“ gegen jene, die sie eine gefühlte Ewigkeit lang für unmündig erklärt und klein gehalten haben. Die amerikanische Landbevölkerung hat es den Großstadteliten mit der Wahl Trumps so richtig gezeigt, so wie die Gilets jaunes Präsident Macron die Rechnung für seine herablassende Arroganz präsentieren. Kollateralschäden am Staat, an der EU, an der Demokratie? Pfeif drauf! Wessen Werk war denn das alles? Eben. – Wer heute also weiterhin auf die Aufklärung als Allheilmittel gegen den Populismus pocht, gießt nur Öl ins Feuer – sofern er überhaupt gehört wird.

Diese Problematik trifft natürlich bis zu einem gewissen Grad auch auf diesen Artikel zu. Diejenigen, die seine Botschaft am dringendsten hören sollten haben sich längst die Ohren verstopft und hören nur noch, was sie hören wollen und was sie in dem bestärkt, was sie längst zu wissen glauben. Und mein nicht unkomplizierter Stil tut das Seinige dazu, um seine potentielle Leserschaft erheblich einzuschränken.

Wie dem auch sei, so kritisch ich der Aufklärung gegenüberstehe, bekenne ich mich zu jenen, für die Fakten nach wie vor Fakten sind. Mehr oder weniger; auch das Biowaffen-Arsenal Saddam Husseins wurde uns als Tatsache verkauft, wie manches andere auch. Man kann gar nicht vorsichtig genug sein, und das umso mehr, als alle anderen einer Meinung sind. Trotzdem, eine Tatsache bleibt eine Tatsache, und eine Lüge wird nie, nie eine „andere Meinung“.

In diesem Sinn: Zurück den Fakten!


Bitte teilen! Danke.

Read more

ZUR VERTEIDIGUNG DES RECHTSSTAATS

ZUR VERTEIDIGUNG DES RECHTSSTAATS

Am 19. Februar 2025 haben sechs Bürgerrechtsorganisationen eine gemeinsame Erklärung zur anstehenden Bundestagswahl veröffentlicht: "Gegen die Angriffe auf den demokratischen Rechtsstaat!" Die dort geäußerten Sorgen um die Rechtsstaatlichkeit teile ich ohne Einschränkung: die Infragestellung der Grund-/Menschenrechte, martialische Law-and-Order-Forderungen, exekutiven Ungehorsam (also die Strategie, Gerichtsentscheide schlicht zu ignorieren)

By Hanspeter Rosenlechner