DIE ZUKUNFT DER ARBEIT? DIE ZUKUNFT DER GESELLSCHAFT!

Arbeit wird es immer geben. Aber sie verändert sich auch permanent. Mit den Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz steht eine tiefgreifende Transformation der Arbeit bevor. Schon heute gibt es viele Berufe, die es vor zehn Jahren noch nicht gab, andere werden verschwinden und von Robotern ersetzt werden.
Welche neuen Chancen eröffnet der technologische Arbeitswandel, welche Probleme gehen damit einher? Was bedeutet das für die Gesellschaft? Und welche sozialen Folgen wird dieser Prozess haben? Wie wird sie aussehen, die schöne neue Arbeitswelt, und was tun mit den weniger schönen Aspekten?
So STANDARD-Chefredakteur Martin Kotynek in einer Newsletter-Ankündigung der Schwerpunktausgabe zum Thema Zukunft der Arbeit am 28.4.
Interessant finde ich daran neben anderem die Ausdrucksform, die Verwendung des Futurs – so als ob das alles längst feststünde, quasi von unabänderlichen Naturgesetzen festgeschrieben, ohne dass irgendwer irgendwas daran noch ändern könnte. Uns bleibt nur, uns danach zu richten oder unterzugehen wie die Saurier, die sich an die veränderten Lebensbedingungen nicht anpassen konnten. Alternativlos, wieder mal. Wie unser ganzes Wirtschaftssystem. Der Sozialismus ist krachend gescheitert, die Marktwirtschaft hat gesiegt, Ende der Debatte.
Es ist der Tunnelblick der sogenannten Realisten. Der Frosch im Brunnen beurteilt das Ausmaß der Welt nach dem Brunnenrand. Eine derartige Ausgangs-Fragestellung (was wird kommen und wie gehen wir dann damit um?) engt den Möglichkeitshorizont von vornherein auf einen winzigen Ausschnitt ein. Was außerhalb dieses Ausschnitts liegt kommt nicht mehr in den Blick, wird deshalb auch nicht versucht und schon gar nicht erreicht – q.e.d. Die Froschperspektive wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung – ich hab's ja gleich gesagt, dass es so kommen wird: der Teufelskreis der Alternativlosigkeit.
Kein Wunder, dass wir mit so einer Endlosschleife aus all unseren Schlamasseln nicht herauskommen. "Mehr vom Gleichen bringt nur mehr vom Gleichen." Was dann der "Beweis" dafür ist, dass gar nichts anderes möglich war. Insbesondere kommen die tatsächlichen Grundprobleme gar nicht mehr in den Blick. Aber wenn man nicht auf die zurückgeht und bestenfalls Symptome untersucht, können auch nur symptomatische Lösungen am Ende herauskommen. Scheinlösungen, die das Grundproblem nicht erkennen, es nicht angehen und deshalb auch nichts wirklich verändern. Wie so oft bestätigt sich Goethes Diktum:
"Wer das erste Knopfloch verfehlt, kommt mit dem Zuknöpfen nicht zu Rande.“

DER SCHWANZ WEDELT MIT DEM HUND
Wo liegt der Hund begraben? Jedenfalls nicht da, wo man es auf den ersten Blick vermuten würde. Man muss jene "vorhersehbare", "alternativlose" Entwicklung der Arbeit zurückverfolgen zu ihrem Ursprung, um ihre Eigendynamik zu durchschauen. Erst dann kann sie beeinflusst werden.
Dieser Antreiber ist wie eingangs ja gesagt der technologische Fortschritt. Es ist die Automatisierung dank künstlicher Intelligenz (KI), die drauf und dran ist, eine "vierte industrielle Revolution" einzuläuten. Wegen seiner zu erwartenden Folgen für die Arbeit, d.h. für die Menschen wird der Fortschritt nun an diesem Punkt in Frage gestellt. Es ist jedoch nicht der einzige. Zuletzt auch beim Facebook-Datenskandal. Oder die Manipulierbarkeit von Wahlen durch undurchschaubare (staatliche?) Akteure. Oder bei den Quasi-Monopolbildungen globaler Internet-Konzerne wie Google und Amazon. Oder bei gentechnisch veränderten Organismen – von Lebensmitteln bis zu menschlichen Embryonen. Oder bei der staatlichen Überwachung der Bürger (NSA, Staatsttrojaner…) Oder bei der wachsenden Verwundbarkeit einer hoch technologisierten Gesellschaft durch Hackerangriffe. Etc. etc. Es sind die Wirkungen und vor allem die unerwünschten Nebenwirkungen, die den Fortschrittsjubel zunehmend dämpfen.
Warum hat sich eigentlich alles so beschleunigt und verselbständigt? Wenn der Antreiber der oben angedeuteten Entwicklungen auf dem Arbeitssektor der technologische Fortschritt ist, und wenn dieser Fortschritt sich in einer ständig schneller werdenden Eigendynamik von Ganzen der Gesellschaft abgekoppelt hat: was ist dann der Antreiber dieses Fort-Sturzes (Erhart Kästner)?
Einerseits natürlich der menschliche Erfindergeist. Andererseits aber wird der heutzutage in erster Linie von außen zu Höchstleistungen in Höchstgeschwindigkeit angetrieben: durch die wirtschaftliche Eigendynamik. Auch die Wirtschaft hat sich ja – insbesondere seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts (Stichwort: Neoliberalismus) – verselbständigt. Sie ist nicht mehr Teil der Gesellschaft, eingebettet in die Gesellschaft, sondern ganz im Gegenteil: Die Gesellschaft ist Teil der Märkte geworden, wie der österreichische Wirtschaftshistoriker, Sozialwissenschaftler und Philosoph Karl Polanyi schon in den 40er Jahren weitblickend feststellte:
Während Geschichte und Völkerkunde verschiedene Wirtschaftsformen kennen, von denen die meisten die Einrichtung von Märkten enthalten, kennen sie keine Wirtschaft vor der unseren, die auch nur annähernd von Märkten beherrscht und geregelt worden wäre.
Polanyi durchschaute die weitreichenden Konsequenzen der Beherrschung der Wirtschaft durch den Markt:
sie bedeutet nicht weniger als die Behandlung der Gesellschaft als Anhängsel des Marktes. Die Wirtschaft ist nicht mehr in die sozialen Beziehungen eingebettet, sondern die sozialen Beziehungen sind in das Wirtschaftssystem eingebettet.
Nicht die Gesellschaft lenkt die Wirtschaft und die Märkte: Die Märkte steuern die Wirtschaft, und die Wirtschaft dirigiert die Gesellschaft. Der Schwanz wedelt mit dem Hund – und nahezu alle finden das völlig normal und in Ordnung, ungeachtet aller katastrophalen ökosozialen Folgen.
Wie sieht das im Detail aus? Was ich unlängst schon in einem anderen Essay über Facebook unterstellte, hat inzwischen der Chefredakteur von Sport1 explizit bestätigt: Auf die Frage, warum Frauen in der Sport-Berichterstattung immer zu kurz kämen, antwortete er: "Wir sind natürlich daran interessiert, unser Programm so zu gestalten, dass wir Gewinne erzielen. Am Ende des Tages sind wir ein börsennotiertes Unternehmen. Wir gehen da geschlechtsneutral ran." (Die Zeit; Lesetipp!) So lange mit Männern mehr Gewinne zu machen sind, müssen börsennotierte Unternehmen – nicht aus Sexismus, sondern aus systemischem Zwang! – Männer in der Berichterstattung bevorzugen. Sobald mit Frauen mehr Kohle zu machen sein wird, werden Frauen vorne sein. Ganz geschlechtsneutral. Die Märkte steuern die Wirtschaft, und die Wirtschaft dirigiert die Gesellschaft.
KÖNNEN HEISST SOLLEN HEISST DÜRFEN HEISST MÜSSEN
So funktionieren alle börsennotierten Unternehmen, so müssen sie funktionieren. Weil das System es ihnen gebietet und Zuwiderhandlung mit Gewinneinbußen oder mit der Höchststrafe – Pleite – ahndet. So funktioniert deshalb auch der technologische Fortschritt. Da geht es nicht darum, wo man ankommt, ja: irgendwo anzukommen, sondern ständig schneller zu sein als die anderen, oder zumindest nicht zurückzufallen.

Dieser Zweck heiligt alle Mittel (und rechtfertigt alle sozialen und ökologischen "Nebenwirkungen"). "Am Ende des Tages sind wir ein börsennotiertes Unternehmen" – letztendlich diktieren die Renditen die Entscheidungen, die Finanzmärkte. Jene Finanzmärkte, die unter Anleitung neoliberaler Wirtschaftsideologen durch jahrzehntelanges Investoren-Lobbying dereguliert wurden, damit die Investoren durch noch mehr Liberalisierung noch größere Renditen generieren konnten, noch größere Kapitalmacht, noch mehr politischen Einfluss, um noch mehr Deregulierung durchzusetzen.
Am Ende des Tages sind auch alle Hi-Tech-Konzerne börsennotierte Unternehmen, deren CEOs nur so lange auf ihren Chefsesseln sitzen als sie genug Renditen für die Unternehmenseigentümer, die Investoren generieren. Daher bleibt ihnen überhaupt nichts anderes übrig als ähnlich die technologische Entwicklung voranzupeitschen, um nicht zurückzufallen oder womöglich sogar vorne dabei zu sein wie Alice im obigen Bild. Daher stellen sich für börsennotierte Unternehmen ethisch-moralische Fragen nur im Rahmen ihrer Auswirkungen auf die Geschäftszahlen. (Und auch kleinere, nicht börsennotierte Betriebe müssen weitestgehend nach diesen Spielregeln spielen, wenn sie nicht untergehen wollen.) . "Können heißt sollen heißt dürfen heißt müssen" (Günther Anders). Es gibt in diesem System einen obersten Imperativ: Renditen! Sie sind die oberste Norm, der alles untergeordnet wird. Der technologische Fortschritt lässt die Kassen klingeln, ergo gilt für jedes neue Produkt: Was verkauft werden kann, das soll, das darf und das muss auch produziert werden. Unter dieser obersten Norm ist es auch irrelevant, welche sozialen "Nebenwirkungen" künstliche Intelligenz und Roboter usw. haben. (Allerdings haben weiter blickende Konzernchefs erkannt, dass ein Millionenheer von Arbeitslosen auch ihre Produkte nicht mehr kaufen wird können, weshalb sie sicherheitshalber jetzt schon für ein bedingungsloses Grundeinkommen plädieren.)
WIE ERREICHEN WIR EINE KURSÄNDERUNG UNSERER 'TITANTIC'?
So lange diese Norm von den Finanzmärkten und den größeren und kleineren Rädern dieser Maschinerie als oberste Norm definiert bleibt, werden sie bestimmen, wohin sich die Gesellschaft entwickelt. Der Schwanz wedelt mit dem Hund. Dann werden Roboter nicht nur menschliche Arbeit dort ersetzen, wo man es ohnehin jedem Arbeiter wünscht, diesen unmenschlichen Scheißjob nicht mehr machen zu müssen. Dann wird die Frage "was soll und darf entwickelt und umgesetzt werden?" niemals gestellt werden. Denn sie liegt außerhalb des normativen Rahmens. Künstliche Intelligenz wird sich überall weiter ausbreiten, und Fehlentwicklungen wie die von Facebook sind nur das Wetterleuchten dessen, was uns dann blüht. Anotonome Waffensysteme sind die vielleicht akuteste und gefährlichste Bedrohung der Menschheit, wovor letzten Herbst eine Reihe von Unternehmern und Wissenschaftler in einem Brief an die UNO eindringlich gewarnt hat (vgl. FAZ; hier das Original). Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Um es klar zu sagen: Meine Meinung, was im einzelnen entwickelt werden soll und was nicht spielt keine Rolle. Es ist nur eine Einzelmeinung, und was ich für richtig oder falsch, gut oder schlecht halte, ist meine persönliche Angelegenheit und gesellschaftlich unwichtig. Der Punkt ist nicht, dass nur erlaubt werden soll, was ich (wer sonst?) für richtig und gut halte; der Punkt ist, dass diese Frage gesellschaftlich gestellt werden können muss. Weil wir alle davon betroffen sein werden, wir und unsere Kinder und Kindeskinder. Darum ist das die zentrale Zukunftsfrage der Menschheit.

In diesem Licht wird deutlich, warum die Eingangsfrage bzgl. der Zukunft der Arbeit viel zu kurz gegriffen ist. Wer sie so fatalistisch einengt, dass er nur noch fragt "wie können wir damit irgendwie zurechtkommen?" hat schon aufgegeben und wird an der Zukunft, die er zu Recht fürchtet nichts verändern. Wir sitzen allesamt in einem Schiff, das Richtung Eisberg fährt; Kapitän(e) und Offiziere halten unbeirrbar Kurs, die Heizer heizen was das Zeug hält, die meisten Passagiere tanzen, und dann wird diskutiert, wie man alle am besten in die Rettungsboote bringen wird. Vielen Dank; aber das ist mir zu wenig, und vielen anderen auch. Die eigentliche Frage ist doch: Wie erreichen wir eine Kursänderung?Wie können wir wieder Einfluss auf unser Geschick erlangen? Was ist jetzt und in der nächsten Zukunft konkret zu verändern, damit es nicht jedesmal zuerst heißt, die Entwicklung sei alternativlos, und wenn die Katastrophe dann eingetreten ist kommt das Heulen und Zähneknirschen?
"DER SOUVERÄN HAT ENTSCHIEDEN."
Die Antwort liegt beim ersten Knopfloch, und das waren die Grundnormen unseres Wirtschaftssystems. So lange diejenigen, die von falschen Normen profitieren ebendiese Normen dennoch definieren dürfen, so lange werden sie die Normen so schreiben wie sie jetzt sind: Gewinne und Renditen über alles – und wenn die Welt dabei untergeht! Dieses System muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden:
KONZERNE UND ANDERE SYSTEMRELEVANTE UNTERNEHMEN DÜRFEN IHRE GRUNDLEGENDEN UNTERNEHMENSNORMEN NICHT MEHR SELBST DEFINIEREN. WENN ES UM UNSERE LEBENSBEDINGUNGEN UND DIE UNSERER NACHFAHREN GEHT, MÜSSEN WIR DAS ENTSCHEIDEN.
Aufgabe der Manager ist es dann, das in Strategien zu gießen und im Alltag umzusetzen. Aber eben innerhalb der Leitplanken, die die Gesellschaft ihnen vorgibt.
Es wird dann durchaus auch eintreten, dass der technologische Fortschritt Berufe zum Verschwinden bringt, dass sich die Arbeit verändern wird, wie sie das seit jeher getan hat. Der Fortschritt kann und soll nicht aufgehalten werden, nur damit niemand entlassen werden muss. Wäre das in den letzten beiden Jahrhunderten die oberste Maxime gewesen, es gäbe heute keine Eisenbahn, keine Industrie, kein Internet… Veränderungen bei den Arbeitsverhältnissen, einschließlich Freistellungen, werden eintreten – genauso wie es durch den Fortschritt neue Jobs geben wird. Das sind dann aber normale Begleiterscheinungen einer Entwicklung, die innerhalb der Leitplanken verläuft, die die ganze Gesellschaft demokratisch so beschlossen hat. Das ist der entscheidende Unterschied. Wir sind dem Fortschritt dann nicht mehr ausgeliefert, wir sind nicht dazu verurteilt, den Konzernen bei ihrem Wettrennen um Marktvorherrschaft und Renditen zuzuschauen und damit der sozialen und ökologischen Zerstörung. Gemeinwohl, ökosoziale Nachhaltigkeit, Sozialverträglichkeit, Gerechtigkeit…: all das sind Grundwerte, die – wenn die Bürger das so wollen und demokratisch beschließen – systemrelevanten Entscheidungsträgern in Wirtschaft und Politik als verbindliche Normen vorgeschrieben und nötigenfalls aufgezwungen werden können. Weil die Wirtschaft ein Teil der Gesellschaft ist, nicht umgekehrt. Weil wir der Souverän sind, nicht die Märkte. Weil es um unsere Zukunft geht und um die unserer Kinder und Kindeskinder.