DIE ZUKUNFT DER ARBEIT – SCHICKSAL, ODER WAS?

Seit die weitreichenden Folgen der Automatisierung (die „vierte Industrielle Revolution“) 2016 beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos öffentlichkeitswirksam erörtert wurden, sind sie auch weiten Bevölkerungsteilen bewusst geworden. Seitdem reißt die Diskussion über die Zukunft der Arbeit nicht ab – bis zur aktuellen Ausgabe der ZEIT ("Wo bleibt die Arbeit?") und des STANDARD ("Die Zukunft der Arbeit).

Eins ist bemerkenswert an fast allen Medienbeiträgen zu diesem brisanten Thema: Sie sind so gehalten, als ob diese Zukunft schon feststünde. Als ob sie sozusagen von unabänderlichen Naturgesetzen festgeschrieben wäre, ohne dass irgendwer noch irgendwas daran ändern könnte. Uns bleibt nur, uns danach zu richten oder unterzugehen (wie die Saurier, die sich an veränderte Lebensbedingungen nicht anpassen konnten). Alternativlos, wieder mal. Ende der Geschichte, Ende der Debatte. Der Teufelskreis der Stagnation: „Mehr vom Gleichen bringt nur mehr vom Gleichen.“

Das ist der fatale Tunnelblick der „Realisten“ – jener Leute, die sich zugute halten, dass sie die Wirklichkeit illusionslos betrachten und die Möglichkeiten so eng sehen wie sie eben sind. Aber wie heißt es so treffend? Der Frosch im Brunnen beurteilt das Ausmaß der Welt nach dem Brunnenrand. Eine derartige Ausgangs-Fragestellung (was wird unweigerlich kommen – wie gehen wir also dann damit um?) engt den Möglichkeitshorizont von vornherein auf einen winzigen Ausschnitt ein. Was außerhalb dieses engen Fokus liegt, bleibt außerhalb des Vorstellbaren. Es wird deshalb auch nicht versucht und schon gar nicht erreicht. Die Froschperspektive wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung: „Ich hab's ja gleich gesagt, dass es so kommen wird.“. No na.

Kein Wunder, dass wir mit so einer Endlosschleife aus all unseren Schlamasseln nicht herauskommen. Weil die eigentlichen Ursachen der Probleme gar nicht mehr in den Blick kommen. Wenn man jedoch nicht auf die zurückgeht, sondern bestenfalls an Symptomen herumdoktert, können auch nur symptomatische Lösungen dabei herauskommen: Scheinlösungen, die das Grundproblem nicht erkannt oder es bewusst ignoriert haben, es nicht angehen und deshalb auch nichts wirklich verändern werden. Wie so oft bestätigt sich Goethes Diktum:

"Wer das erste Knopfloch verfehlt, kommt mit dem Zuknöpfen nicht zu Rande.“

DER SCHWANZ WEDELT MIT DEM HUND

Wo liegt der Hund begraben? Jedenfalls nicht da, wo man es auf den ersten Blick vermuten würde. Man muss die Eigendynamik dieser Entwicklung durchschauen. Erst dann kann man sie wirkungsvoll und nachhaltig beeinflussen.

Der Fortschritt wird vom menschlichen Erfindergeist angetrieben, klar. Vor allem aber wird er aber durch die Eigendynamik der Wirtschaft vorangepeitscht. Auch sie hat sich ja – insbesondere seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts (Stichwort: Neoliberalismus) – verselbständigt. Sie ist nicht mehr Teil der Gesellschaft, eingebettet in die Gesellschaft, sondern ganz im Gegenteil: Die Gesellschaft ist Teil der Märkte geworden, ein Anhängsel der Märkte wie der österreichische Wirtschaftshistoriker, Sozialwissenschaftler und Philosoph Karl Polanyi schon in den 40er Jahren weitblickend feststellte: „Die Wirtschaft ist nicht mehr in die sozialen Beziehungen eingebettet, sondern die sozialen Beziehungen sind in das Wirtschaftssystem eingebettet.“

Nicht die Gesellschaft lenkt die Wirtschaft und die Märkte: Die Märkte steuern die Wirtschaft und die Gesellschaft. Der Schwanz wedelt mit dem Hund – und nahezu alle finden das völlig normal und in Ordnung, ungeachtet aller katastrophalen ökosozialen Folgen.

Unlängst habe ich in einem anderen Essay (über Facebook) unterstellt, dass die Märkte, insbesondere die Finanzmärkte die eigentlichen Motoren all unserer derzeitigen ökosozialen Fehlentwicklungen sind. Das hat inzwischen der Chefredakteur von Sport1 in einem anderen Zusammenhang quasi bestätigt. Auf die Frage, warum Frauen in der Sport-Berichterstattung immer zu kurz kämen, antwortete er: „Wir sind natürlich daran interessiert, unser Programm so zu gestalten, dass wir Gewinne erzielen. Am Ende des Tages sind wir ein börsennotiertes Unternehmen. Wir gehen da geschlechtsneutral ran." (Die Zeit; Lesetipp!) So lange mit Männern mehr Gewinne zu machen sind als mit Frauen, müssen börsennotierte Unternehmen – nicht aus Sexismus, sondern aus systemischem Zwang! – Männer in der Berichterstattung bevorzugen. Sobald mit Frauen mehr Kohle zu machen sein wird, werden Frauen vorne sein. Ganz geschlechtsneutral. Nichts Persönliches. Die Finanzmärkte steuern die Wirtschaft und die Gesellschaft.

KÖNNEN HEISST SOLLEN HEISST DÜRFEN HEISST MÜSSEN

Alle börsennotierten Unternehmen arbeiten primär Renditen-orientiert. Dieser Zweck heiligt alle Mittel – und rechtfertigt alle sozialen und ökologischen Nebenwirkungen. Renditen gehen vor Datenschutz, Konsumentenschutz, Arbeitschutz, Umweltschutz, Artenschutz… Wieso muss alles geschützt werden wie eine bedrohte Tierart?! Geschützt vor wem? Vor den Finanzmärkten! „Am Ende des Tages sind wir ein börsennotiertes Unternehmen“ – letztendlich diktieren die Renditen die Entscheidungen, also die Finanzmärkte. Jene Finanzmärkte, die unter Anleitung neoliberaler Wirtschaftsideologen durch jahrzehntelanges Investoren-Lobbying dereguliert wurden, damit die Investoren durch noch mehr Liberalisierung noch größere Renditen generieren konnten, noch größere Kapitalmacht, noch mehr politischen Einfluss, um noch mehr Deregulierung durchzusetzen.

Am Ende des Tages sind auch alle Hi-Tech-Konzerne börsennotierte Unternehmen, deren CEOs nur so lange auf ihren Chefsesseln sitzen als sie genug Renditen für die Unternehmenseigentümer, die Investoren generieren. Daher bleibt ihnen überhaupt nichts anderes übrig als die technologische Entwicklung voranzupeitschen, um nicht zurückzufallen oder wenn möglich sogar vorne dabei zu sein. Daher stellen sich für börsennotierte Unternehmen ethisch-moralische Fragen nur im Rahmen ihrer Auswirkungen auf die Geschäftszahlen. (Und auch kleinere, nicht börsennotierte Betriebe müssen weitestgehend nach diesen Spielregeln spielen, wenn sie nicht untergehen wollen.) . „Können heißt sollen heißt dürfen heißt müssen“ (Günther Anders). Es gibt in diesem System einen obersten Imperativ: Renditen! Sie sind die oberste Norm, der alles untergeordnet wird. Der technologische Fortschritt lässt die Kassen klingeln, ergo gilt für jedes neue Produkt: Was zu Geld gemacht werden kann, das soll, das darf und das muss auch zu Geld gemacht werden. Unter dieser obersten Norm sind soziale Nebenwirkungen der Entwicklung irrelevant. (Allerdings haben weiter blickende Konzernchefs erkannt, dass ein Millionenheer von Arbeitslosen ihre Produkte nicht mehr kaufen wird können, weshalb sie sicherheitshalber jetzt schon für ein bedingungsloses Grundeinkommen plädieren.) In diesem System müssen Unternehmen in erster Linie Renditen-orientiert arbeiten. Weil das System es ihnen gebietet und weil es Zuwiderhandlung mit Gewinneinbußen oder mit der Höchststrafe – Pleite – ahndet. Das System ist das Problem. Deshalb kann nur in einer Systemänderung die Lösung liegen.

WIE ERREICHEN WIR EINE KURSÄNDERUNG UNSERER „TITANTIC“?

So lange von den Finanzmärkten und den größeren und kleineren Rädern dieser Maschinerie Renditen als oberstes Gebot definiert bleiben, so lange das so entstehende System weiterläuft, bestimmen die Finanzmärkte, wo es mit der Welt hingeht – nämlich weiter auf den Abgrund zu. Und weiter mit Vollgas in die lernenden KI-Systeme, in die Roboterisierung, in die Industrie 4.0… Der Schwanz wedelt mit dem Hund. Wenn wir da nicht STOP schreien, werden tatsächlich Roboter nicht nur menschliche Arbeit dort ersetzen, wo man ohnehin jedem Arbeiter wünscht, diesen unmenschlichen Scheißjob nicht mehr machen zu müssen. Dann werden uns Roboter in der Kantine bedienen, im Spital versorgen, am Kundentelefon unsere Fragen beantworten… Künstliche Intelligenz, Automatisierung usw. wird sich überall weiter ausbreiten, und Fehlentwicklungen wie die von Facebook sind nur das Wetterleuchten dessen, was uns dann blüht. Autonome Waffensysteme sind die vielleicht akuteste und gefährlichste Bedrohung der Menschheit, wovor letzten Herbst eine Reihe von Unternehmern und Wissenschaftler in einem Brief an die UNO eindringlich gewarnt hat (vgl. FAZ). Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Soll das so sein? Wollen wir das?

Um es klar zu sagen: Meine Meinung, was im einzelnen entwickelt werden soll und was nicht spielt dabei gar keine Rolle. Es ist nur eine Einzelmeinung, und was ich für richtig oder falsch, gut oder schlecht halte, ist gesellschaftlich irrelevant. Wie auch immer ich oder Sie Fragen wie die eben gestellten im einzelnen beantworten würden: Sie werden überhaupt nicht gestellt! Und das ist das Grundproblem. Fragen wie diese liegen derzeit außerhalb des – von den Märkten vorgegebenen – normativen Rahmens, aber sie müssen gestellt und diskutiert werden können! Weil wir alle davon betroffen sein werden, wir und unsere Kinder und Kindeskinder.

Damit ist nun auch deutlich, warum die Eingangsfrage bzgl. der Zukunft der Arbeit viel zu kurz gegriffen ist. Wer sie fatalistisch so einengt, dass er nur noch fragt „wie können wir damit irgendwie zurechtkommen?“ hat schon verloren und wird an der Zukunft, die er zu Recht fürchtet nichts mehr ändern. Er führt die Zukunft herbei, die er vermeiden will. Wir sitzen allesamt in einem Schiff, das Richtung Eisberg fährt; Kapitän(e) und Offiziere halten unbeirrbar Kurs, die Heizer heizen was das Zeug hält, viele Passagiere tanzen, und diskutiert wird nur, wie man alle am besten in die Rettungsboote bringen wird?! Danke, aber das ist mir zu wenig, und vielen anderen auch. Die eigentliche Frage ist doch: Wie erreichen wir eine Kursänderung? Wie können wir wieder Einfluss auf unser Geschick erlangen? Was ist jetzt und in der nächsten Zukunft konkret zu verändern, damit es nicht jedesmal zuerst heißt, die Entwicklung sei alternativlos, und wenn die Katastrophe dann eingetreten ist kommt das große Heulen und Zähneknirschen?

„DER SOUVERÄN HAT ENTSCHIEDEN.“

Die Antwort liegt beim ersten Knopfloch, und das waren die Grundnormen unseres Wirtschaftssystems. So lange diejenigen, die von schlechten Normen profitieren diese Normen trotzdem definieren dürfen, so lange werden sie sie so definieren, wie sie für sie am profitabelsten sind: *Gewinne und Renditen über alles – und wenn die Welt dabei untergeht! *Dieses System muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden:

KONZERNE UND ANDERE SYSTEMRELEVANTE UNTERNEHMEN DÜRFEN IHRE GRUNDLEGENDEN UNTERNEHMENSNORMEN NICHT MEHR SELBST DEFINIEREN. WENN ES UM UNSERE LEBENSBEDINGUNGEN UND DIE UNSERER NACHFAHREN GEHT, MÜSSEN WIR, DER SOUVERÄN DAS ENTSCHEIDEN.

Das Management darf dann im Rahmen dieser normativen Vorgabe Strategien entwickeln und sie im Geschäftsalltag umsetzen – innerhalb der Leitplanken, die die Gesellschaft ihnen vorgibt.

Es wird durchaus auch der Fall eintreten, dass der technologische Fortschritt, dass sich die Arbeit verändern wird, wie sie das seit jeher getan hat. Der Fortschritt kann und soll nicht aufgehalten werden. Wäre das in den letzten beiden Jahrhunderten die oberste Maxime gewesen, es gäbe heute keine Eisenbahn, keine Industrie, kein Internet… Veränderungen bei den Arbeitsverhältnissen, einschließlich Freistellungen, werden eintreten, so wie der Fortschritt auch neue Jobs schaffen wird. Das werden dann aber normale Begleiterscheinungen einer Entwicklung sein, die innerhalb der normativen Leitplanken verläuft, die die ganze Gesellschaft demokratisch so beschlossen hat. Das ist der entscheidende Unterschied. Wir sind den Entwicklungen dann nicht mehr ausgeliefert, wir sind nicht dazu verurteilt, den Konzernen bei ihrem Wettrennen um Marktvorherrschaft und Renditen zuzuschauen und damit der sozialen und ökologischen Zerstörung.

Gemeinwohl, ökosoziale Nachhaltigkeit, Sozialverträglichkeit, Gerechtigkeit…: all das sind Grundwerte, die – wenn die Bürger das so wollen und demokratisch beschließen – systemrelevanten Entscheidungsträgern in Wirtschaft und Politik als verbindliche Normen vorgeschrieben und nötigenfalls aufgezwungen werden müssen. Weil die Wirtschaft ein Teil der Gesellschaft ist, nicht umgekehrt. Weil wir der Souverän sind, nicht die Märkte. Weil es um unsere Zukunft geht und um die unserer Kinder und Kindeskinder, und um die Zukunft unseres Planeten. Das ist alternativlos, sonst nichts.


[Diese in kürzeren Abständen erscheinenden Beiträge setzen sich mosaikartig zu einem neuen Gesamtgesellschaftsmodell zusammen. Sie sollen dessen Konsistenz und universelle Anwendbarkeit zeigen. Ihr eigentlicher Sinn und Zweck ist jedoch die Umsetzung dieses Modells – im Kleinen wie im Großen. Dafür müssen Sie weiter verbreitet werden. Vielen Dank im Voraus!]

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ZUR VERTEIDIGUNG DES RECHTSSTAATS

ZUR VERTEIDIGUNG DES RECHTSSTAATS

Am 19. Februar 2025 haben sechs Bürgerrechtsorganisationen eine gemeinsame Erklärung zur anstehenden Bundestagswahl veröffentlicht: "Gegen die Angriffe auf den demokratischen Rechtsstaat!" Die dort geäußerten Sorgen um die Rechtsstaatlichkeit teile ich ohne Einschränkung: die Infragestellung der Grund-/Menschenrechte, martialische Law-and-Order-Forderungen, exekutiven Ungehorsam (also die Strategie, Gerichtsentscheide schlicht zu ignorieren)

By Hanspeter Rosenlechner