DIE FATALE FRAKTIONIERUNG…

Überlegungen zum Bundestagswahlkampf 2025
Ich möchte mal ein paar Phänomene nebeneinander stellen:
1.) Die aktuellen Umfragewerte zur bevorstehenden Bundestagswahl (Stand So., 19.1.2025) weisen die Union / Friedrich Merz als aussichtsreichsten Kandidaten aus (±31%), Nummer 2 wäre aktuell die AfD / Alice Weidel (±21%), Nummer 3 die SPD mit Olaf Scholz (±16%) und an vierter Stelle die Grünen mit Robert Habeck (±14%).

2.) Seit Jahren fahren die Union und die FDP eine Kampagne gegen die Grünen, die unschwer zusammengefasst ist: "DIE GRÜNEN SIND SCHULD!" Ob auch nur das Geringste daran zutreffend ist, ist nebensächlich: es geht bei ihrer Populisten-Propaganda nicht um die Inhalte, nicht um die Sache, sondern um die Wirkung ihrer Parolen. Was sagen die Statistiken diesbezüglich aus? Die Union begann das Jahr 2024 mit etwa 30% Zustimmung, erreichte im Sommer einen Höchststand von 32% und sank im Januar 2025 wieder auf 30%. Die FDP bewegte sich konstant um die 4%-Marke, was unter der 5%-Hürde für den Einzug in den Bundestag liegt. Die Grünen schwankten leicht zwischen 13% und 15%, ohne signifikante Veränderungen.

2.) Verglichen mit der Direktwahl-Frage, unterscheiden sich diese Zustimmungswerte jedoch erheblich. Hier liegen die Kandidaten der Union und der Grünen, Merz und Habeck, mit 23% gleichauf, während die Kandidaten der zweit- und drittstärksten Parteien weit dahinter liegen.

3.) Die Kampagne der Union und der FDP – akkordiert mit den hinter ihnen stehenden Medienhäusern und ihren überreichen Eigentümern – gegen die Grünen als Partei zeigte also praktisch keine Wirkung, und sie half auch ihren Urhebern nicht. Währenddessen konnte zur Person Habeck – und man darf hier intensivste Bemühungen unterstellen, ihm als Person zu schaden – nichts ausgegraben werden, was ihm vorgeworfen werden hätte können und ihn diskreditiert hätte.
4.) Würde sich also der Wahlkampf nicht zwischen Parteien, sondern zwischen Personen abspielen, wäre er ein völlig offenes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Merz und Habeck. Und man braucht die oben dargestellten Zustimmungs-Linien zu den Parteien nur etwas zu verlängern [eine entsprechende Zeit-Grafik zur K-Frage habe ich leider nicht gefunden], und der künftige deutsche Bundeskanzler hieße Robert Habeck.
5.) Wenn man in einem Gedankenspiel also die Parteien ausblendet und sich einen Wahlkampf der Personen vorstellt, wäre die Dynamik von Haus aus eine andere gewesen, und ich vermute, dass dann der Vorsprung von Habeck gegenüber Merz (und Weidel) noch weit größer wäre. Aber das ist müßig.
6.) Worauf ich aber eigentlich hinauswill, ist eine Verallgemeinerung und die Schlüsse daraus. Verallgemeinert gesagt, haben zwei Parteien (Union und FDP) ihr ganzes Wahlkampf-Potential genützt, um einer konkurrierenden Partei (den Grünen) zu schaden. Für die Union ist diese Taktik – die sachlich-inhaltliche Hauptkonkurrentin, die Grünen mit unsachlicher Propaganda klein zu halten –, aufgegangen: Sie ist weiterhin die stärkste Partei (30%), und sie wird aller Wahrscheinlichkeit nach den nächsten Bundeskanzler stellen. Die Grünen konnten durch diese Wahlkampf-Strategie unterm Strich ihre Erfolgspotential mit der Person Robert Habeck (23% Zustimmung) nicht ausschöpfen; sie blieben als Partei auf ihren 13% festgenagelt.
7.) Ich will jetzt beileibe nicht einer Persönlichkeitswahl (vielleicht sogar ohne Parteien) das Wort reden: hier hätte nicht der talentierteste Politiker mit den besten Sachlösungen die größten Erfolgsaussichten, sondern der gewiefteste Demagoge mit den schlagkräftigsten Parolen. Ich will auf den destruktiven Einfluss des Parteienwesens generell hinweisen, der während des Wahlkampfs am deutlichsten wird. Es ist den Parteien Union und der FDP gelungen, die Grünen als Partei nieder zu halten, nicht aber ihren Spitzenkandidaten als Person, als Menschen. Damit ist ihnen weiters gelungen, politische Sachlösungen – und das heißt nicht-parteiliche Lösungen – durch Partei-Propaganda zu diskreditieren und zu verunmöglichen. Mit anderen Worten, das Parteienunwesen hat aus seiner immanenten Machtdynamik "vor-parteiliche" Sachlösungen verhindert – Lösungen, die überhaupt nicht in den Kompetenzbereich von Parteien fallen. Denn diese Herausforderungen sind a) physikalischer Natur und gehen damit jeder Politik als materielles Apriori voraus (Klimakrise: Physik ≠ Politik, Physik ≠ Ideologie); bzw. sie sind b) menschheitlicher Natur, womit sie ein gesellschaftliches Apriori jeder Parteipolitik sind.
8.) Der Begriff "Fraktion" sagt ja schon aus, dass man es hier mit gesellschaftlichen Bruchteilen – frz. fraction, vom lat. frangere, (zer)brechen – zu tun hat, nicht mit ihrem Ganzen, der Zivilgesellschaft. Das hat zur Konsequenz: Wenn man Lösungen für menschheitliche Herausforderungen finden will, sind Parteien dafür von vornherein ungeeignet, da sie jeweils nur gesellschaftliche Splittergruppen repräsentieren, nicht aber das Gesellschafts-Ganze. Je mehr eine Partei ihre Parteien-immanente Dynamik – Fraktionierung – in den Vordergrund stellt, desto mehr überträgt sich die Fraktionierung, Zersplitterung, Polarisierung, Spaltung… auch auf die Gesellschaft. 🔄 Der Spaltpilz der Gesellschaft sind die Parteien. Erst wenn das Wasser bis zum Hals steht, stellen Parteien manchmal das Gesamtwohl über ihre Fraktions-Interessen und bilden eine "Regierung der nationalen Einheit." Bis die Krise jedoch so bedrohliche Ausmaße angenommen hat, dass sie alle in den Abgrund reißt, ist den Parteien ihre Macht wichtiger als das Wohl derer, die sie repräsentieren sollen. Damit zerstören sie sowohl die Demokratie als auch unserem gemeinsamen Heimatplaneten.
9.) Wer diese Demokratie-Demenz live beobachten will, braucht sich nur den Populismus der Union vor Augen zu führen, die es aus dem genannten Machtkalkül vorzieht, die Grünen zu torpedieren und die Inhalte und Strategien der Rechtsradikalen zu kopieren, als für die Demokratie einzustehen und sich von den Rechtsradikalen inhaltlich und polittaktisch klar zu distanzieren. Oder schaut nach Österreich, wo die ehemalige Volkspartei ÖVP sich aus machttaktischem Opportunismus zur Steigbügelhalterin der rechtsradikalen FPÖ erniedrigt hat, um als Marionette der Industriellenvereinigung und der Wirtschaftskammer deren Klientelpolitik zu ermöglichen. Wie STANDARD-Journalist Hans Rauscher treffend beschrieben hat: "Kickl will nicht nur gewinnen, er will die Nase des anderen auch in den Dreck drücken." Das lässt die ÖVP derzeit ohne einen Rest von Selbstachtung und Rückgrat über sich ergehen. Was tut man nicht alles für ein paar politische Restposten! Da braucht es halt "flexiblere Wertvorstellungen" als das Volk sie einstmals, in der "guten alten Zeit" von seinen politischen Repräsentanten erwartete…
10.) Aber offenbar läuft es noch nicht schlimm genug, als dass einer ausreichend großen Zahl von Menschen die Augen aufgingen. "Ehe etwas nicht seine Grenze erreicht, wird es sich nicht umkehren" (Liä Dsi). Die einzige Art von "Partei", die im 21. Jahrhundert noch Sinn und Daseinsberechtigung hätte, müsste als zentralen Programmpunkt die Abschaffung der Parteien haben und die (erstmalige!) Einsetzung der souveränen Zivilgesellschaft als Souveräne – wie ich es hier gefordert habe. Utopie? Mal sehen. Bis dahin die Faustregel: Je mehr die vor-politischen Themen und Herausforderungen entpolitisiert werden, desto sachgemäßer können sie angegangen werden. Um nur das wichtigste zu nennen: Die Klimakrise wurde von ihren Verursachern und deren politischen Helfershelfern mit Erfolg als "grün" politisiert und damit ihrer menschheitlich-existenziellen Dimension beraubt. Bullshit! Sie ist vor-politisch! Das Klima kommt vor jeder Politik, denn es ist – wie intakte Ökosysteme überhaupt – die Grundlage jeder Zivilisation! Deshalb: Je mehr die Klimakrise entpolitisiert wird, je mehr das Thema Ökologie entpolitisiert wird, desto besser.
Hanspeter Rosenlechner