„GLOBALER MARSCH FÜR DAS KLIMA?“ WAR DA IRGENDWAS?

LA MARCHE MONDIALE POUR LE CLIMAT – DER GLOBALE MARSCH FÜR DAS KLIMA! Ich war dem Aufruf gefolgt, und das hieß für mich heute: auf nach Toulouse! Ich bin also am Nachmittag mit dem Bus nach Toulouse gefahren – man braucht kaum länger als mit dem Auto, kann sich entspannen, und es kostet läppische € 2,20 (kein Tippfehler: zwei Euro und zwanzig Centimes, für 55 Kilometer!). Ich stieß eine Stunde nach dem offiziellen Aufbruch dazu (ich wollte unsere Hunde nicht zu lange daheim allein lassen und bin deshalb später weggefahren). Ich hatte mich gefragt, ob die berühmt-berüchtigten Gilets jaunes wohl dazustoßen würden und ob das ohne Konflikte abgehen würde.
Als ich den Marsch erreichte, waren dort großteils gelbe Westen anwesend. 😳 Waren das jetzt Klimaretter, die sich auch die gelben Warnwesten übergezogen hatten? Oder Gilets jaunes, die beim Klima-Marsch mitgingen? Eine spannende philosophisch-soziologische Frage. Klar war einzig und allein die Unklarheit: sie waren nicht zu unterscheiden. Egal; sie waren alle guter Dinge, schlenderten gelöst und scherzend ihren Weg entlang, friedlich und ohne jeden Anflug von Aggressivität. Die Schilder und Transparente bezogen sich großteils auf Proteste gegen den Klimawandel, aber es waren auch welche dabei, die die Politik der Regierung angriffen und den Sturz Macrons forderten.
Geplant war ursprünglich, von der place Arnaud Bernard bis zum Kriegerdenkmal zu gehen. Im letzten Moment wurde via Facebook die Route geändert (was mir und vielen anderen entgangen war), aber nicht schlimm, wir sahen die Anderen von unserer Brücke, dem Pont neuf aus auf der nächsten zurück in Richtung Zentrum marschieren. Auf der Brücke hatten wir unsere erste Begegnung mit den "Ordnungskräften". Ich brauche ihre (Aus)Rüstung nicht zu schildern. Äußerlich für jeden Nahkampf gerüstet, waren sie aber doch teils locker, teils sichtlich angespannt – kein Wunder, nach den Gewalteskalationen vor einer Woche. Sie zogen die Menschen an wie ein Magnet. Ich fragte mich, was wohl wäre, wenn die gar nicht da wären? Dann würden wir alle einfach entspannt über die Brücke gehen. So aber knisterte es gleich. Denn ein Teil der Demonstranten war offensichtlich darauf aus, sie zu provozieren – mit Pfiffen, Sprechchören, Buhrufen usw. Der Großteil ging aber betont friedlich und freundlich an ihnen vorbei, bedeutete ihnen mit den Händen ein Herz und plauderte mit ihnen, was sichtlich zur Entspannung der Situation beitrug.

Seitdem ich dazugestoßen war, ertönten regelmäßig Sprechchöre: "MA-CRON, DÉ-MIS-SION! (Macron, Abdankung!)" – was mich sehr befremdete. Waren wir nicht ausgezogen, um etwas zur Rettung des Klimas beizutragen? Wollten wir tatsächlich die Regierung stürzen? Was mich betraf, sicher nicht – bei aller kritischen Reserve gegenüber Macron. Eine verwirrende Situation, genau wie die untrennbare Vermischung der Klima-Demonstranten mit den Gelbwesten. Es war mir ausgesprochen unangenehm, mit Leuten zu marschieren, die nicht für etwas demonstrierten, sondern gegen etwas; nicht für den Schutz des Weltklimas und den Fortbestand der Menschheit, sondern gegen den französischen Präsidenten! Aber diese Diskrepanz sollte das Leitmotiv des Tages bleiben.
Von "unserer" Brücke aus war zu sehen, dass irgendwo in der Gegend der anderen schwarzer Rauch aufstieg. Irgendwas musste da brennen, vermutlich Reifen (was sich bestätigen sollte; s.u.). Die Leute sind um die Gendarmen versammelt und johlen, brüllen, feixen, pfeifen… Die Gendarmen sind sichtlich angespannt, aber beherrscht. Die Menschenmenge ist irgendwie unschlüssig – die ganze Veranstaltung ist eigentlich längst ohne jede Organisation. Also flutet alles nach einer Weile wieder langsam zurück in Richtung Zentrum. Die Gendarmerie rückt von der Brücke ab, die Situation entspannt sich wieder. Uff.
Je näher wir dem Zentrum kommen, desto lauter wird das Geschrei. Und tatsächlich: Auch dort haben die Ordnungskräfte wieder alljene angezogen, die sie herausfordern wollten – um sich nach erfolgreich provozierter Konflikteskalation über deren Gewaltanwendung zu empören. Überall hochgereckte Arme mit filmenden Handys. Was für eine Ermunterung, für diese allgegenwärtige Filmerei auch die entsprechenden Bilder zu liefern! Je gewalttätiger, desto "attraktiver"! Es widert mich an. Nach dem obigen Foto sträubt sich alles in mir, noch weitere zu machen oder zu filmen.
Plötzlich ein Knall, Rauch, zurückströmende Menschen. – Tränengasgranaten? Keiner weiß, was los ist. Eine Frau fragt mich, ob ich weiß, was passiert ist. Nein, keine Ahnung. Jedenfalls scheint niemand zu tränen. Ich schaue auf die Uhr; es ist kurz vor 5; ich habe nicht mehr viel Zeit bis zur Abfahrt meines Busses. Ich versuche über einem Umweg auszuweichen, aber jede Straße in Richtung Zentrum / Kapitol ist von der Gendarmerie blockiert. Schließlich komme ich doch auf der place du Capitole an, wo inzwischen der Weihnachtsmarkt aus Sicherheitsgründen geschlossen worden ist. Skandierende Sprechchöre vom Rand des Platzes – "Citoyens, levez-vous ! La terre est à vous ! (Bürger, erhebt euch! Die Erde gehört euch!)" und wie schon zuvor "Macron – démission!". Aber man sieht über die Menschenmenge hinweg nichts Genaueres. Zwei Stunden zuvor waren dort waren dort die Gendarmen von protestierenden / provozierenden Menschen umringt. Jetzt ist von der früheren fröhlichen Gelöstheit hier in den Gesichtern kaum mehr etwas zu lesen. Auch hier trägt mehr als die Hälfte der Leute gelbe Westen; es ist also nicht zu erkennen, welcher "Gruppe" sie zuzuordnen sind. Und die Lage scheint sich jederzeit entzünden zu können. Mama mia, das hätte doch ein friedlicher Marsch für das Klima werden sollen! Ich bin doch nicht hergekommen, um mir gemeinsam mit gelben Randalierern eine Schlacht mit der Gendarmerie zu liefern!
Ich sehe also zu, dass ich irgendwie in Richtung Busbahnhof weiterkomme. Bei der nächsten Straßensperre frage ich, ob ich weiter kann. Der Mann in der Rüstung schaut mich mit bohrendem Blick an und winkt mich durch. Gottseidank.
Während ich zum Bus gehe, rattert es in meinem Kopf, ob hinter mir gerade die Lage explodiert. Und ich bin stinksauer, wie dieser Tag doch danebengegangen ist. Der Marsch war desorganisiert, und vor allem war er irgendwie von den Gilets jaunes gekapert worden. Wie viele von den tausenden Menschen wären wohl allein wegen ihres Impulses, das Weltklima und die Menschheit zu retten gekommen? Wie viele waren nur da, um in ihren gelben Westen ihre Wut über die Politik der Regierung in die Welt zu schreien? Man wird es nie wissen.
Schließlich im Bus, suche ich nach Medienmeldungen der letzten Stunden ("marche climat Toulouse"). Wie befürchtet, ist die Gewalt eskaliert. Der Rauch auf der Nachbarbrücke stammte von einigen Dutzend Radikaler, die dort mit Reifen eine Straßensperre errichtet und angezündet hatten. Am frühen Abend war die Eskalation noch weiter fortgeschritten. Es ist nur noch von der "Demonstration der Gelbwesten" die Rede; Bilder von brennenden, umgestürzte Autos, brennenden Straßenbarrikaden, eingeschlagenen Auslagen… Es ist total zum Kotzen. Was haben die aus dem gewaltfreien Marsch für das Klima gemacht? Und wie wenige casseurs (Chaoten) waren das, verglichen mit den tausenden Anderen? Und dennoch dominieren die nun die Schlagzeilen.
Was mich aber am meisten empört, ist das Resultat der deutschsprachigen Suche mit "Marsch Klima".
- Das erste Ergebnis ist ein Artikel der NZZ, übertitelt: "Gelbwesten marschieren auf den Champs-Élysées – knapp 1400 vorübergehende Festnahmen – Demonstranten fordern Rücktritt Macrons". Das Wort "Klima" kommt zwei Mal vor, irgendwo im Liveblog. Ganz oben ein Foto eines brennenden Autos.
- Der zweite Artikel (Der Bund) vermeldet eine Demo in der Schweiz: "Tausend marschieren in Bern für das Klima. Über tausend Personen schlagen in Bern «Klima-Alarm». Zur Demonstration hatte die Organisation Klima-Allianz Schweiz aufgerufen."
- Ab da nur noch Meldungen über die Demonstration in Kattowitz, wo gerade der Klimagipfel stattfindet; hie und da noch eine über Bern. Das war's.