GUTMENSCH – UND STOLZ DARAUF.

GUTMENSCH – UND STOLZ DARAUF.

Als ich heute früh im STANDARD einen ausgezeichneten Artikel über Caritas-Wien-Chef Klaus Schwertner las, dachte ich mir: Es ist höchste Zeit, das Schimpfwort "Gutmensch" zu kapern und ihm den Ehrenplatz zu geben, der ihm eigentlich zusteht. Denn wer wäre mehr der Ehre wert als ein wirklich guter Mensch?

GUTMENSCHEN: EINE BEDROHTE ART

Die guten Menschen hatten ja noch nie einen leichten Stand. Um ziemlich willkürlich irgendwo zu beginnen: Schon die Urchristen bezahlten den Versuch, ihr Ethos in ihr Leben zu integrieren mit ebendiesem – Verfolgung, Folter, Raubtierfutter, Kreuzigungen…

Ein Jahrtausend später hatte sich das Christentum zur katholischen – wörtlich: allumfassenden – Kirche gemausert und übertraf die Caesaren (= Kaiser) an Machtbesessenheit und selbstgerechter Grausamkeit. Das bekamen die von ihr so genannten "Katharer" zu spüren. Keiner von ihnen hatte sich je selbst als καθαρός / katharós ("rein") bezeichnet. Sie nannten sich "bons hommes", "gute Menschen", oder "bons chrétiens", gute Christen. Nachdem der Versuch des Papstes Innozenz III, sie wieder in den Schoß der Kirche heimzuholen gescheitert war, zog er andere Saiten auf: Die Inquisition wurde eingerichtet, und in den sog. Katharerkreuzzügen wurden sie in ganz Okzitanien systematisch ausgerottet. Massaker an der Zivilbevölkerung eingeschlossen, wie in Béziers, wo sich tausende Menschen in die Kathedrale geflüchtet hatten. Als der päpstliche Legat Arnaud d'Amaury gefragt wurde, wie man denn nun die Ketzer von den "richtigen" Christen trennen sollte, antwortete jener: "Tötet sie alle. Gott wird die Seinen erkennen."

Nun, noch ein Jahrtausend später, werden wieder alljene Menschen, die versuchen, so zu leben, wie es ihr Gewissen von ihnen verlangt an den Pranger gestellt: "Gutmenschen!" ruft man ihnen höhnisch nach, garniert mit weiteren zynischen Attributen, die ich hier nicht mehr aufzähle, um ihnen nicht noch weitere Aufmerksamkeit zu verschaffen. Die geballte Menschenverachtung geifert aus diesen Diffamierungen. Präziser ausgedrückt, die Verachtung alles Menschlichen. Wer heutzutage im gesellschaftlichen Leben Anzeichen von Empathie, Solidarität, Nächstenliebe, Brüderlichkeit, caritas, Anstand, Lauterkeit, Ehrenhaftigkeit, Humanität, Selbstlosigkeit, Hochherzigkeit, Wohltätigkeit, Mitleid… zeigt, wird als "Gutmensch" gebrandmarkt. Ich muss gestehen, vor Jahrzehnten, als dieses Schimpfwort noch nicht derart als Waffe benutzt wurde habe auch ich es manchmal verwendet, um den weltfremden Idealismus mancher Zeitgenossen lächerlich zu machen – eigentlich damals schon ziemlich in der Art heutiger Menschenverächter. Aber was ist verwerflich an Idealismus? Dass man Ideale hat und diese im Leben umsetzen will – das soll schlecht sein? Und "weltfremd"? In einer Welt, die zu einem wachsenden Anteil aus Menschen besteht, die auf Humanität, Empathie, Aufrechtheit, Verantwortungsgefühl, usw. spucken, in einer Welt der Trumps, Salvinis, Wilders, le Pens, Orbans, Straches, Kurz… (die Liste wird von Jahr zu Jahr länger!) fühle auch ich mich inzwischen so fremd, dass das mit "welt-fremd" wohl treffend beschrieben ist.

"Es tun mir viele Sachen weh, die andern nur leid tun", schrieb Lichtenberg. Das ist heute ein Erkennungsmerkmal der Gutmenschen. Es tut ihnen weh, wenn Menschen wegen anderer Menschen leiden. Es tut ihnen weh, wenn Tiere wegen Menschen leiden. Es tut ihnen weh, wenn die Erde unter dem Menschen leidet. Jenen, die versuchen, sie mit dem Attribut "Gutmensch" verächtlich zu machen tut all das nicht einmal leid, geschweige denn, dass es ihnen weh täte. Das macht den Unterschied. Und dieser Unterschied ist aller Grund, stolz zu sein.

Gutmenschen sind zwar seit jeher eine bedrohte Species, von zynischen Verächtern jeder Menschlichkeit mit aller Gehässigkeit, derer sie fähig sind verfolgte und bedrohte Art. Aber…:

ICH BIN EIN GUTMENSCH – UND STOLZ DARAUF.

Verschämte Rückzugsgefechte sind die falsche Antwort für einen Gutmenschen. Er macht lieber einen mutigen Schritt nach vorn, in selbstbewusstem Stolz auf sein unerschütterliches Bestreben, ein guter Mensch sein zu wollen, ein Gutmensch. Angesichts der allseitigen Verrohung ist das ein Ehrenattribut, eine Auszeichnung. Wobei es ohnehin immer beim Versuch bleibt. Denn was wäre der vollendete Gutmensch anderes als ein… Heiliger? Ein Mensch, der ohne Rücksicht auf eigene Verluste und ohne dabei auf Anerkennung zu schielen das tut, was sein Gewissen ihm sagt? Ein Mensch, der sein ganzes Leben zur "Inkarnation des Guten" gemacht hat?

Davon sind wir Normalsterbliche weit entfernt, aber viele von ihnen streben dennoch unermüdlich danach. Und wie bei jedem Streben nach Höherentwicklung ist nicht auszuschließen, dass sich Eitelkeit, Rigorismus, Intoleranz… darunter mischen, wie ihnen dann vorgehalten wird. Aber sind Abirrungen ein Argument gegen den Weg zum Guten? Und der Hass der Diffamierer richtet sich ja nicht gegen die Verirrungen auf dem Weg, sondern gegen den Weg selbst und sein Ziel – das Gute in die Welt zu tragen und es furchtlos zu verteidigen. So gesehen, ist dieser Hass also zwar für die Menschen, gegen die er sich richtet unerfreulich, aber halt ein Preis, den sich zu zahlen bereit sind.

"La souveraine habileté consiste à bien connaître le prix des choses", "die höchste Lebensklugheit besteht darin, den Preis einer jeden Sache zu kennen" (La Rochefoucauld). Es hatte schon immer seinen Preis, ein guter Mensch sein zu wollen, ein Gutmensch. Dieser Preis war schon einmal deutlich höher als heutzutage. Grund genug, freudig zu verkünden: "Ich bin ein Gutmensch – und stolz darauf."

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ZUR VERTEIDIGUNG DES RECHTSSTAATS

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Am 19. Februar 2025 haben sechs Bürgerrechtsorganisationen eine gemeinsame Erklärung zur anstehenden Bundestagswahl veröffentlicht: "Gegen die Angriffe auf den demokratischen Rechtsstaat!" Die dort geäußerten Sorgen um die Rechtsstaatlichkeit teile ich ohne Einschränkung: die Infragestellung der Grund-/Menschenrechte, martialische Law-and-Order-Forderungen, exekutiven Ungehorsam (also die Strategie, Gerichtsentscheide schlicht zu ignorieren)

By Hanspeter Rosenlechner