HEXENJAGD

Von Trump bis Aiwanger: die verfolgte Unschuld

HEXENJAGD

VON TRUMP BIS AIWANGER: DIE VERFOLGTE UNSCHULD

Im Jahr 2003 habe ich mit meiner damaligen Schulklasse – mit Vierzehnjährigen – Arthur Millers Hexenjagd inszeniert – das Drama um eine historische / hysterische Jagd auf vermeintliche Hexen im Jahr 1692 in Salem, Massachusetts.

Hexenjagd heute: Ausländer werden gejagt, schikaniert, gequält, ja sogar ermordet. Oder Juden. Politische Gegner. Menschen anderer Hautfarbe. Andersdenkende. Wo es an Gefühl und Verstand fehlt, saugt das schwarze Loch unweigerlich Intoleranz an.
Theater ergreift Herz und Intellekt: bei den Zuschauern, und erst bei den Akteuren selbst. Darum ist eine Inszenierung von Arthur Millers „Hexenjagd“ für alle Beteiligten eine Schule der Toleranz.

– Aufführungs-Ankündigung der ARGEKultur Salzburg (https://www.argekultur.at/Event/2426/hexenjagd---drama-von-arthur-miller)

Heute, 20 Jahre später, werden zwar nach wie vor Juden, Flüchtlinge, Schwule… stigmatisiert, bedroht und gejagt, aber als "Sündenböcke" inszenieren sich nun auch systematisch die Jäger, sobald man sie dafür zur Verantwortung ziehen will. Trump beschwert sich bei jedem neuen Prozess wütend-wehleidig als Opfer einer Hexenjagd, und so auch nun Hubert Aiwanger. Er, der sich vor zwei Jahren schon in der Maskenaffäre als solches bezeichnet hatte, wurde nun reflexartig von der Springer-Presse in Schutz genommen:

Kaum wurde der Verdacht gegen Hubert Aiwanger bekannt, war die Hexenjagd eröffnet: Endlich gab es schlimmes Material gegen einen dieser Abweichler in der deutschen Politik. Der vermeintliche Fehltritt des Gegenübers wird genutzt, um alle seine Standpunkte verächtlich zu machen.

Einen Tag später weht ihm aber sogar von BILD ein anderer Wind entgegen: "Herr Aiwanger, es reicht!" Er sieht sich als Opfer einer Schmutzkampagne: "Ich soll politisch und persönlich fertig gemacht werden," "Ich sollte politisch vernichtet werden" (WELT):

"Ich bin überzeugt davon, dass die 'SZ', womöglich mit Hilfe anderer Kreise, von langer Hand geplant hatte, mich massiv zu beschädigen und politisch zu vernichten. Damit sollten die Freien Wähler geschwächt und Stimmen auf andere Parteien gesteuert werden.
Konkreter: Unsere Partei sollte raus aus der Regierung – und die Grünen rein."

Ja, die Hexenjagd… Dieser Begriff unterstellt ja von vornherein, dass hier ein Unschuldiger verfolgt wird (was ich im Falle Aiwangers nicht beurteilen will; es geht mir um den kommunikativen Punkt, nicht um eine [Vor]Verurteilung). Ein Unschuldiger wird wegen etwas, was er nie begangen hat gejagt und quasi auf dem öffentlichen Scheiterhaufen (sprich: in den Medien) verbrannt. Völlig zu Unrecht.

Mit dem Begriff "Hexenjagd" wird weiters impliziert, dass der Vorwurf so abwegig ist wie heutzutage Hexen zu verfolgen. Er ist also böswillig und arglistig. Er unterstellt den "Jägern", wider besseres Wissen und mit üblen Motiven zu agieren, m.a.W. aus moralischer Verworfenheit.

Der Begriff "Hexenjagd" verschiebt aber weiters das Thema vom Faktischen ins Weltanschaulich-Religiöse. Das entspricht der populistischen Methode, jedes Issue mit machttaktischem Potential wie Asyl, Migration, COVID, Klimakrise, Energiewende… zur Meinungs- und Weltanschauungsfrage zu verbiegen. Fakten und Sachthemen werden so systematisch zu ideologischen Issues. Wenn ein Politiker sich als Opfer einer "Hexenjagd" darstellt, dann verschiebt er unterschwellig den Vorwurf von der Sachebene auf eine religiös-ideologische Ebene. Die politische Auseinandersetzung soll zum Kulturkampf werden. So wird die Wählerbasis manipuliert, denn die affektive Wirkung und emotionale Solidarisierung sind weit größer, wenn es um Identitäts- und Kulturkonflikte geht als um trockene Sachthemen. Darum zählt "Hexenjagd" zu jenen Triggerbegriffen, die nicht wegen ihres Inhalts, sondern um ihrer performativen Wirkung willen eingesetzt werden (Stichwort: Framing…).

So wird mit der Loslösung des Themas vom Faktischen und seiner Verschiebung in den Bereich der Identitäts- und Kulturkämpfe im nächsten Zug der eigentliche Sinn und Zweck dieser Diskursverschiebung offensichtlich: die Rückverschiebung ins Politische, die Solidarisierung der Wählerbasis mit dem armen Opfer einer "Hexenjagd". Ob es nun ein legitimes Gerichtsverfahren wegen Wahlmanipulation ist (Trump) oder der Vorwurf, Aiwanger habe als Jugendlicher besagtes menschenverachtendes Pamphlet verfasst: mit dem Framing "Hexenjagd" wird die Sachfrage zur Meinungs- und Weltanschauungsfrage umgebogen und von den Beschuldigten für sich parteipolitisch instrumentalisiert. Die Reaktion der Freien Wähler belegt das. Aus ihren Reihen ist "keine Kritik zu hören […]. Im Gegenteil. Sie hoffen bei der Landtagswahl am 8. Oktober mit dem Zugpferd Aiwanger zweitstärkste Kraft in Bayern zu werden. Dass das Zugpferd vorher keinen Schaden nehmen darf, versteht sich da von selbst."

Dessen ungeachtet ist es freilich auch Fakt, dass diese "Hexenjagd" aus ebensolchem parteitaktischen Interesse gestartet wurde. Die Vorwürfe sind nicht aus dem blauen Himmel gefallen; sie sollen Aiwanger natürlich politisch schaden. Nach diesem Muster läuft das parteipolitische Spiel. Keine Seite agiert in einer Parteiendemokratie rein nach bestem Wissen und Gewissen, ohne Hintergedanken, frei von wahltaktischem Machtkalkül. Authentizität und Ehrlichkeit sind Teil der Rolle. Sine ira et studio agiert praktisch kein Politiker mehr, sofern es um Issues mit machtpolitischer Relevanz geht. Er will bei den Wahlen punkten, er muss bei den Wahlen punkten, um überhaupt Politik machen zu können. Das alte Juncker-Dilemma:

„Wir Regierungschefs wissen alle, was zu tun ist, aber wir wissen nicht, wie wir danach wiedergewählt werden sollen“

(Jean-Claude Juncker in einem SPIEGEL-Interview 2013).

Die einzige grundlegende Lösung dieser radikalen Politisierung jedes Issues ist eine ebenso radikale Entpolitisierung in Form von ausgelosten demokratischen Institutionen anstelle von Wahlen und Parteien. Eine repräsentativ ausgeloste Legislative…

…ernennt und kontrolliert eine parteilose Exekutive ohne Agenda- und Richtlinienkompetenz.

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ZUR VERTEIDIGUNG DES RECHTSSTAATS

ZUR VERTEIDIGUNG DES RECHTSSTAATS

Am 19. Februar 2025 haben sechs Bürgerrechtsorganisationen eine gemeinsame Erklärung zur anstehenden Bundestagswahl veröffentlicht: "Gegen die Angriffe auf den demokratischen Rechtsstaat!" Die dort geäußerten Sorgen um die Rechtsstaatlichkeit teile ich ohne Einschränkung: die Infragestellung der Grund-/Menschenrechte, martialische Law-and-Order-Forderungen, exekutiven Ungehorsam (also die Strategie, Gerichtsentscheide schlicht zu ignorieren)

By Hanspeter Rosenlechner