IST ES AUCH WAHNSINN, HAT ES DOCH SYSTEM
Ich habe in meinem gestrigen Beitrag oberflächliche Scheinlösungen grundlegenden Lösungen gegenübergestellt. Symptomatische Pseudo-Lösungen sind stets schnell bei der Hand: Sie beseitigen scheinbar das Problem (wenn auch de facto nur seine Symptome), und das schnell. Grundlegende Lösungen brauchen mehr Überlegung, mehr Einsicht; sie sind meist nicht kurzfristig machbar, sodass man einen langen Atem benötigt; sie erfassen das Ganze und nicht nur einige Aspekte, sodass sie anspruchsvoller und komplexer sind; und sie machen meist tiefgreifende Veränderungen nötig, denen man meist aus dem Weg gehen will; das heißt, sie erfordern Uneigennützigkeit, Integrität, Rückgrat, Weitblick… – Eigenschaften, die einer Karriere meist im Weg stehen und die deshalb bei den Eliten nicht gerade sehr verbreitet sind. Einer Sache zu dienen, von deren Richtigkeit und Notwendigkeit man überzeugt ist, selbst wenn das zum eigenen Nachteil gerät ist eben etwas anderes als seine Überzeugungen (sofern man überhaupt welche entwickelt hat) an jede Situation anzupassen, sobald das opportun ist.
Zum Beispiel: Jeder – insbesondere jeder politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger – weiß, dass die fundamentalen Probleme unserer Zeit (von der Klimaerwärmung über den zu gr0ßen ökologischen Fußabdruck, die Massentierhaltung usw. usf. bis hin zur systematischen Steuerflucht, durch die der Gesellschaft hunderte Milliarden jährlich entgehen) durch quick fixes nicht zu lösen sind. Dass sie grundlegender Lösungen bedürfen, mit denen nicht alle glücklich sind, vor allem nicht diejenigen, die von diesen Missständen dauernd profitieren. Reiche, einflussreiche Menschen – die Eliten der GeldMacht. Womit wir wieder beim Filz aus Politik und Großkapital sind, der an Veränderungen, die seine GeldMacht beschneiden nicht das geringste Interesse hat. Und der deshalb alle Hebel in Bewegung setzt, um alle solchen grundlegenden Lösungen zu blockieren und zu torpedieren. Da werden wissenschaftliche Studien gekauft oder andernfalls sabotiert und diskrediert, da werden Lobbyisten an die Front geschickt, da wird geschmeichelt und geschmiert und gedroht, da werden Existenzen vernichtet und sogar Menschen beseitigt. Alle Mittel sind recht, um grundlegende Lösungen zu verhindern und alle Veränderungen auf ein Minimum zu begrenzen. Schließlich geht es um gigantische Summen. Dass diese Verhinderungsstrategie die Gesellschaft oder sogar die Existenz der Menschheit bedroht – wen von diesen Leuten schert‘s?
Und genau hier ist die Nahtstelle zwischen persönlich und systemisch. Sich über persönliche Charakterschwächen von Entscheidungsträgern zu empören mag gerechtfertigt sein oder nicht; sie könnten ihre Ambitionen aber nicht entfalten wenn das System es ihnen nicht erlauben würde. Darum ist es völlig sinnlos, Personen auszuwechseln wenn das System, in das sie geraten unverändert bleibt. Es wird auch die neuen Personen absorbieren und adaptieren, und so anders sie angetreten waren: sie enden gleich. Und darum ist es auch sinnlos, rechte oder linke oder „neue“ Parteien oder „Bewegungen“ anstelle der „Altparteien“ an die Macht zu bringen: Sie sind – wenn auch vielleicht nicht dem Namen nach, aber funktional, systemisch – Parteien. Und das bedeutet, sogar wenn sie vielleicht anders agieren wollen werden sie vom Parteien-System verdaut und integriert werden.
Egal, welche unserer gegenwärtigen Krisen man betrachtet: Sie mögen mit den Unvollkommenheiten diverser Persönlichkeiten verknüpft sein, aber im Wesenlichen rühren sie von Systemen her, in denen jene Menschen nur kleinere oder größere Rädchen sind. Wenn sie nicht systemkonform funktionieren, werden sie aussortiert und durch kompatible ersetzt. Das beliebte Köpferollen nach einem Skandal, einer Krise usw. mag die Medien und die Wähler beschwichtigen, aber es ändert nichts am System, gemäß welchem jene Köpfe funktioniert haben und gemäß welchem auch die neuen Köpfe funktionieren werden müssen wenn sie nicht eliminiert werden wollen.
Ich habe in FGB nicht nur diese Systeme analyisert, sondern auch die notwendigen Veränderungen bzw. neue Systeme umrissen, die im Großen wie im Kleinen jederzeit umgesetzt werden können. Im Großen durch republikanisch-demokratische Alternativen zur repräsentativen Demokratie und zum Parteien-System, im Kleinen durch Ansätze, wie wirklich jeder in seinem jeweiligen Einflussbereich anders agieren und Anderes bewirken kann als bisher. Unmöglich? Nur so lange wir es für unmöglich halten.
Wo kämen wir hin,
wenn alle sagten,
wo kämen wir hin,und niemand ginge,
um einmal zu schauen,
wohin man käme, wenn man ginge.
Kurt Marti
[Diese in kürzeren Abständen erscheinenden Beiträge setzen sich mosaikartig zu einem neuen Gesamtgesellschaftsmodell zusammen. Sie sollen dessen organische Konsistenz und universelle Anwendbarkeit zeigen. Ihr eigentlicher Sinn und Zweck ist jedoch die Umsetzung dieses Modells – im Kleinen wie im Großen. Dafür müssen sie weiter verbreitet werden. Vielen Dank im Voraus!]