KREIZKRUZIFIXHALLELUJA!
Es geht in der Kruzifix-Frage nicht um Meinungen und Befindlichkeiten (auch meine nicht), sondern um die Grenzen des staatlichen Einflusses. Und die beginnen dort, wo die Religionen anfangen.



(Foto: dpa)
„Ja genau, es ist kein Zeichen einer Religion. Es ist ein Bekenntnis zur deutschen Identität im allgemeinen und zur kulturellen Prägung Bayerns im besonderen.“
„Sämtliche Historiker und Theologen dieser Welt – neben Milliarden anderer Menschen – sehen das Kreuz aber als das religiöse Symbol des Christentums schlechthin an. Das ist ein Faktum.“
„Dann verfüge ich über alternative Fakten.“
„Und die Wissenschaft?“
„Fake News.“
(„Kreizkruzifixhalleluja, net der a no…!“)
„Spaß“ beiseite. Bayern wird durch die Kruzifixe nicht untergehen, und die Welt schon gar nicht. Aber ein paar Überlegungen ist die Entscheidung Söders schon wert. Ich hole etwas aus, denn „wer das erste Knopfloch verfehlt, kommt mit dem Zuknöpfen nicht zu Rande" (Goethe).
1. SYMBOLE SIND SYMBOLE
Wofür auch immer: das Kreuz ist ein Symbol. Es ist einerseits Ausdruck der persönlichen Identität (Religiosität), andererseits ein öffentlicher Teil der religiösen Praxis. Die eigene Religiosität (oder der eigene Agnostizismus, Atheismus oder jede sonstige Weltanschauung) ist innerlich, für alle anderen unsichtbar. Der äußere Ausdruck davon – oft ein demonstratives Zur-Schau-Stellen (wer betritt z.B. wie gekleidet eine Kathedrale?) – ist selbstredend sichtbar. Religiöse Symbole stehen also an der Grenze zwischen Innen und Außen, Unsichtbar und Sichtbar:

Darum sind Kreuz, Kopftuch, Kippa usw. ja auch Symbole: Ihr alleiniger Sinn und Zweck ist es, das Innere ins Außen zu tragen, das Unsichtbare sichtbar werden zu lassen. Sie sind dann das wichtigste äußere Erkennungsmerkmal, an dem Geistesverwandte einander auf den ersten Blick erkennen und sich dadurch innerlich zusammengehörig fühlen können. Sie sind die Demonstration einer gemeinsamen Identität, ob religiös oder kulturell.
Das ist keine sinnlose philosophische Haarspalterei, sondern das erste "Knopfloch" bei der ganzen Kopftuch-Diskussion: Wer es verfehlt, kann nachher auf keinen grünen Zweig mehr kommen. Mit der inneren Religiosität bewegt sich jeder Gläubige in seinem inneren Seelen-Refugium, das heißt, in einem Bereich, der nur ihm selbst zugänglich ist und auch nur ihn selbst etwas angeht. Mit der äußeren Religiosität – religiöser Praxis, religiösen Symbolen – bewegt er sich allgemein sichtbar im öffentlichen Raum. Im öffentlichen Raum bedeutet, gesellschaftlich gesehen, im Rahmen des Staates – im Rahmen von Gesetzen (Legislative/Parlament), ihrer Um- und Durchsetzung (Exekutive/Regierung, Behörden) und der Sanktionierung ihrer Missachtung (Judikative/Gerichte). Damit wird die Situation schon unübersichtlicher, denn bzgl. Innen und Außen kommt zur individuellen Dimension auch noch die kollektive hinzu: Im Außen sind das explizite Normen, Regeln, Gesetze, ihre Um- und Durchsetzung, Strukturen… – also auch der ganze staatliche Bereich:

Ich wechsle nun den Standpunkt und betrachte die Kruzifix-Frage nicht mehr aus der inneren Perspektive, aus der des Geisteslebens, sondern aus der äußeren, aus der des Staates. Denn um die geht es ja bei der Kruzifix-Vorschrift. Wenn eine rechtsstaatliche Instanz beschließt, religiöse Symbole vorzuschreiben / zu erlauben / zu verbieten, dann muss 1. der Gleichheitsgrundsatz gelten: Entweder gilt diese Regelung für alle Religionen oder für keine. Gesetze müssen ohne Ansehen der Person gelten, also auch ohne Ansehen der individuellen oder kollektiven Religiosität, oder sie verlieren jede Legitimation. Der Staat muss 2. die ganzen Tragweite seiner Entscheidung erkennen: Jede seiner diesbezüglichen Entscheidungen betrifft nicht nur zwei Holzlatten oder ein Stück Tuch, sondern insbesondere deren symbolische Wirkung. Religiöse Symbole vorzuschreiben oder zu verbieten hat immer auch symbolischen Charakter und symbolische Wirkung. Mit jedem Ge- oder Verbot religiöser Symbole greift der Staat auch in die persönliche Religiosität der Menschen ein – in das innere Refugium religiöser Menschen, das ihre höchsten Werte und Überzeugungen birgt, und das keinen Menschen etwas angeht, schon gar nicht den Staat. Die Menschen, in deren persönliche Religiosität und Identität der Staat damit eingreift nehmen nicht nur die formale Entscheidung wahr, sondern auch und insbesondere deren Symbolgehalt. Mit jedem Ge- bzw. Verbot religiöser Symbole wird auch ein Zeichen für eine bzw. gegen andere Religionen gesetzt, für eine Identität und gegen eine andere. Das weiß auch Söder ganz genau. Wenn er etwas nicht ist, dann naiv oder blöd. Darum war diese Entscheidung klar symbolisch gemeint: als Signal und Botschaft an bestimmte Bevölkerungsgruppen. Und so kommt sie treffsicher auch an. Sie trennt "uns" von "denen". Sie treibt einen Keil in die Gesellschaft, und zwar nicht nur zwischen Christen und Muslime (für die das Kruzifix a g’sunde Watschn und dauernde Mahnung sein soll – damit sie wissen, wo in Bayern Gott huckt!), sondern auch zwischen Christen und nicht-religiöse Menschen.
GLEICHHEIT FÜR ALLE ODER GAR KEINEN
Recht gilt gleich für alle, oder es gilt für keinen. Gleichheit muss das durchgehende Prinzip aller staatlichen Institutionen sein. Die Domäne des Staates ist – vgl. die obige Grafik – der Bereich des Sichtbaren, Verifizierbaren, Kontrollierbaren. Domäne des Staates ist nicht all das, was überhaupt nicht sichtbar, also auch nicht verifizierbar und kontrollierbar ist, insbesondere Religion (genauso aber auch eine etwaige Leitkultur: sie ist weder sichtbar noch kontrollierbar, also auch nicht einforderbar!). Aus diesem Grund sind Ämter nicht der Ort, um die individuelle oder kollektive Identität oder Religiosität zur Schau zu stellen. Sie sind also auch nicht der Ort für religiöse Symbole. Für kein religiöses Symbol, egal ob Kruzifix, Kippa, Kopftuch oder sonstwas. Und zwar weil Prinzipien entweder prinzipiell, für alle gelten oder gar nicht. Nur weil eine Mehrheit in einem Land bestimmte religiöse Symbole (z.B. Kruzifixe) anderen vorzieht oder die eigene Kultur einer anderen, heißt das nicht, dass der Staat hier mit zweierlei Maß messen dürfte. In staatlichen Einrichtungen und bei Beamten im Dienst haben religiöse Symbole nichts verloren. Seine Aufgabe ist es, dem Leben des Geistes und insbesondere allen Institutionen des Geisteslebens – ohne Ansehen ihrer Weltanschauung, Religion… – die freie Entfaltung (im Rahmen der Gesetze) zu ermöglichen.
Es ist also in der Kruzifix-Debatte irrelevant, ob man selber Katholik ist oder nicht und ob man das aufgrund einer gemeinsamen Identität und Kultur für sympathisch hält oder unsympathisch: Es geht nicht um Meinungen und Befindlichkeiten (auch meine nicht), sondern um die Grenzen des staatlichen Einflusses. Und die beginnen dort, wo die Religionen anfangen. Wie schon betont, auch die müssen sich strikt im gesetzlichen Rahmen bewegen. Kulturrelativismus ist der Tod des Rechtsstaats. Keiner Religion steht da unter Berufung auf die eigene Bedeutung, die eigene Kultur… eine Sonderbehandlung zu. Gesetze gelten für alle gleich, oder sie gelten für niemanden. Wer wie Söder mit seiner demonstrativen und provokativen Kruzifix-Entscheidung die Grenzen zwischen Staat und Religionen nicht respektiert, stellt sich diesbezüglich auf eine Stufe nicht nur mit Erdogan und Kaczynski, sondern auch mit den islamistischen Theokratien – seinen schlimmsten Feindbildern.
[Den Großteil dieses Artikels habe ich von einem früheren über das Kopftuch kopiert und nur "Kopftuch" durch "Kruzifix" ersetzt. Die grundlegenden Gesichtspunkte sind die gleichen, die ich in FGB ausführlich entwickelt habe.]
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