DIE ÖKOLOGISCHE KRISE: DIE SPITZE DES EISBERGS

DIE ÖKOLOGISCHE KRISE: DIE SPITZE DES EISBERGS

Wer die täglichen Nachrichten verfolgt und in ihrem Zusammenhang betrachtet, erkennt ein gemeinsames Muster, nämlich vier Krisen:

  • Eine geistige Krise – Realitätsverweigerung, Polarisierung, Verrohung, Enthemmung, Fundamentalismus, Radikalisierung…;
  • eine politische Krise – Populismus, Nationalismus, Autoritarismus…;
  • eine wirtschaftliche Krise – obszöner Reichtum bei einigen wenigen vs. Einkommensstagnation und Verarmung vieler, wachsender Reichtum des globalen Nordens vs. Armut, Not, Hunger, Elend, Perspektivelosigkeit… im globalen Süden (die "kannibalische Weltordnung", um mit Jean Ziegler zu sprechen), was uns in Form der Flüchtlingsbewegungen wieder auf den Kopf fällt; und last not least
  • die ökologische Krise – Klimaerhitzung, rapide abnehmende Biodiversität, Naturausbeutung und -zerstörung…

Die ökologische Krise brennt insbesondere den jungen Menschen auf den Nägeln, denn es ist ihre Zukunft, die gerade durch Ignoranz, Passivität, Herumlavieren usw. zerstört wird. Wegen des sich schließenden Zeitfensters fordert eine wachsende Zahl von Menschen schnelleres Handeln und striktere Maßnahmen – was in Anbetracht der Dringlichkeit dieses menschheitsbedrohenden Problems auch notwendig ist. Viel zu wenig bemerkt werden dabei die komplexen Kausalzusammenhänge, die gemeinsam zur ökologischen Krise führen. Die Krisenphänomene fallen ja nicht einfach aus dem blauen Himmel. Sie haben Ursachen, die 1. tiefer liegen und sich 2. gegenseitig beeinflussen. Wenn man diese erkennt, wird auch deutlich, dass die vier genannten Krisen die Spitze des Eisbergs sind. Die ökologische Krise ist die Folge der drei anderen Krisen, deren letzte Konsequenz die Erhitzung des globalen Klimas ist, die Zerstörung der Artenvielfalt, der Natur… Es handelt sich um ein dreifaches Versagen:

  • MARKTVERSAGEN: Die sichtbarsten, direktesten und destruktivsten Auswirkungen haben die Märkte, die alles auf dem Altar des Wirtschaftswachstums opfern. Die Märkte und ihre Lobbyisten sind es auch, die die Politik von wirkmächtigen, mutigen Entscheidungen abhalten, damit das große Geschäft ungehindert weiterlaufen kann.
  • STAATSVERSAGEN: Politik heißt konkret: Parteienherrschaft. Die Parteien haben die Demokratie gekidnappt. Um ihre Macht – ohne die sie nichts wären – abzusichern, ziehen sie Scheinlösungen allen grundlegenden Lösungen vor. Sie stellen kurzfristige vor langfristige Ziele, messen in vorauseilendem Gehorsam den Wirtschaftsinteressen größeres Gewicht bei als den Interessen der Bürger.
  • BILDUNGSVERSAGEN: So gut wie unbeachtet bleibt der destruktive Einfluss des verstaatlichten Bildungswesens: Was sollte eine amoralisch-mechanistisch-technokratisch-opportunistische Wissensvermittlung anderes bewirken als einen amoralisch-mechanistisch-technokratisch-opportunistischen Umgang mit der Natur?

BILDUNGSVERSAGEN + STAATSVERSAGEN + MARKTVERSAGEN = ÖKOLOGISCHE KRISE

Doch selbst damit geht man den Problemen noch nicht auf den Grund. Denn auch das Bildungswesen, die Parteiendemokratie und die Marktwirtschaft sind nicht vom Himmel gefallen. Sie sind das Ergebnis falscher gesellschaftlicher Ziele, falscher gesellschaftlicher Werte und falscher gesellschaftlicher Überzeugungen. Sie sind das Produkt falscher Paradigmen:

Und woher kommen diese verkehrten Werte, Ziele, Überzeugungen…? Insoweit sie nicht aus dem Privatbereich stammen, wurden sie im Bildungssystem angelegt, mit Zuckerbrot und Peitsche verstärkt und befestigt. Langfristig und grundlegend kann also nur ein fundamental anderes Bildungswesen an der ökosozialen Krise etwas verändern. Doch wir haben akute Probleme, auf die wir jetzt dringend eine Antwort brauchen.

DREI KRANKHEITEN, EINE THERAPIE

Wenn das Bildungswesen, das Parteiensystem und die Märkte krank sind, was könnte sie dann gesunden lassen? – Die Antwort ist so einfach, dass sie albern scheint: sie gesunden zu lassen! Sie nicht weiter daran zu hindern, aus ihrer eigenen Kraft gesünder und immer gesünder zu werden.

Der Universalschlüssel heißt: Selbstorganisation. Das wirtschaftliche, das politische und das Bildungssystem sind komplexe Systeme. Und als solche können sie nicht zentral-dirigistisch geführt werden. Je mehr sie sich selbst organisieren und steuern können, jedes nach seiner eigenen, typischen Systemdynamik, desto gesünder werden sie sich entwickeln.

  • Das Bildungswesen (wie das gesamte Geistesleben) will nicht am staatlichen, parteipolitischen Gängelband geführt werden, und das nach jeder Wahl in eine andere Richtung. Es will sich selbst führen. Das einzige, wofür der Staat bzgl. Bildungssystem tatsächlich zuständig ist, ist für einen gerechten Zugang zum Bildungswesen und für Chancengleichheit zu sorgen. Seine Paradigmen, Werte und Grundüberzeugungen sind aber nicht die des Bildungswesens. Seine Ziele sind nicht die der Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen; die sollen sie eigenständig definieren und umsetzen können. Je mehr Einfluss Politiker und Parteien auf das Bildungswesen nehmen (wie in autoritären Systemen), desto mehr deformiert das die Unterrichtenden und ihre Schüler, und das bedeutet langfristig: die gesamte Gesellschaft. Je freier die Schulen von staatlicher Bevormundung sind, desto besser gedeihen eigenständiges, selbstverantwortliches Denken, Empfinden und Handeln. (Dasselbe gilt für die Fremdsteuerung des Bildungswesens durch ökonomische Akteure, aber das ist bei weitem das kleinere Übel.)
  • Der Defekt der Marktwirtschaft liegt nicht an den Märkten per se. Er liegt darin, dass ein Teil der Marktteilnehmer davon ausgeschlossen ist, sie in ihrem Sinn zu beeinflussen. Auf den Märkten herrscht das Faustrecht, die "Freiheit" des Stärkeren. Die Stärksten und Brutalsten haben sich die Vormachtstellung gesichert; die Schwächsten haben ihrer Ausbeutung nichts entgegenzusetzen. Sie sind den Märkten ausgeliefert. Ohne vom Staat garantierte Chancengleichheit und Gerechtigkeit beim Zugang zu den Märkten entwickeln sich diese genauso krank wie das Bildungswesen, wo auch die familiäre und soziale Herkunft den Bildungsweg der Heranwachsenden determiniert und nicht ihre eigenen, individuellen Potentiale. Das Problem sind exklusive, ausschließende Märkte. Darum muss der Staat für inklusive Märkte sorgen; dann – nicht früher – kann er sie sich selbst überlassen. Wenn alle Marktteilnehmer die Preise gleich beeinflussen können, werden sie alle für faire Preise und suffiziente Einkommen sorgen. Ohne politische Einflüsse von außen entsteht so, selbstorganisiert, das größtmögliche Wohl der größtmöglichen Anzahl.
  • Bleibt für den Staat, sich um seine Angelegenheiten zu kümmern: Gleichheit, Gerechtigkeit und Sicherheit zu garantieren. Nicht mehr, aber auch nicht weniger!

So betrachtet, ist die wahre Ursache der dreifachen Krise ein dreifacher gesellschaftlicher Entwicklungsstau. Die Gesellschaft will sich instinktiv in drei verschiedene Richtungen weiterentwickeln, in drei selbständigen Systemen organisiert – doch sie kann nicht. Sie stagniert in einem Status quo, der in jedem der drei Gesellschaftssysteme zu Krisen führt, die alle drei zusammen in der katastrophalsten Krise münden, in der ökologischen.

DIE GESELLSCHAFTLICHE rEVOLUTION

Wenn die drei defekten Gesellschaftssysteme die Menschheit mit vereinten Kräften in die ökologische Existenzkrise manövriert haben, wenn das Grundproblem ihr Entwicklungsstau ist, liegt die Rettung in einem gesellschaftlichen Evolutionsschritt revolutionären Ausmaßes – einer rEvolution.

Massives Umsteuern bei den CO2-Ausstößen, bei der Bewahrung der Artenvielfalt usw. sind ebenso richtig und notwendig wie lebensrettende Maßnahmen in der Notfallmedizin. Das eigentliche Problem sind jedoch nicht diese ökologischen Krisenphänomene an sich. Sie sind "nur" Symptome der genannten gesellschaftlichen Defekte, die 1. die derzeitige geistige, politische und wirtschaftliche Situation geschaffen haben, welche in letzter Konsequenz 2. fatale ökologische Auswirkungen haben. Wenn das eigentliche Problem der ökologischen Krise die drei genannten defekten Systeme sind (Bildungswesen, Parteien und exklusive Märkte), kann auch eine wirkliche Lösung nur eine systemische sein.

Es muss uns also klar sein, dass es ad hoc zwar unabdingbar ist, sofort Maßnahmen für das Klima und die Biodiversität zu ergreifen weil wir uns ansonsten den Ast absägen, auf dem wir sitzen. Mensch und Erde sind eine unauflösliche Schicksalsgemeinschaft. Die Letzt-Ursachen der ökologischen Krise würden davon allein jedoch unberührt bleiben. Und wenn diese defekten Systeme weiter ihren destruktiven Einfluss ausüben können, werden sie auch weiterhin soziale und ökologische Disruptionen zur Folge haben. Mehr vom Gleichen bringt nur mehr vom Gleichen.

Die Macht zum Umsteuern hätten die Politiker. Doch sie halten aus ihren kurzsichtigen Nutzenkalkülen weiter Kurs auf den Eisberg. Sie lenken lieber vom Thema ab und mäkeln an Greta Thunberg herum als wäre sie das Problem und nicht die Klimaerhitzung. Sie fallen mit seltener Einmütigkeit über Kevin Kühnert her, den Boten der schlechten Botschaft, der das S-Wort in den Mund genommen hat, anstatt seinem Fingerzeig zu folgen und die tatsächlichen ökosozialen Problem zu erkennen. Damit reiten sie uns ins Verderben. Und das dürfen wir, die Zivilgesellschaft, nicht zulassen.

STATT PARTEIEN-OLIGARCHIE EIN DEMOKRATISCHES LOSVERFAHREN

Gesellschaftlichen Einfluss erlangt man nur durch Parteien. Um vorzubeugen, dass jemand aus machtpolitischen Interessen auf politische Machterweiterung hinarbeitet, muss ausgeschlossen werden, dass er gewählt werden kann. Damit wird dem Willen zur Macht die Grundlage entzogen. Die Verbindung zwischen Macht und Wahlen muss gekappt werden. Wir müssen der Parteien-Oligarchie den Boden unter den Füßen wegziehen, indem wir die Wahlen durch ein Losverfahren ersetzen. Das Losverfahren bringt ein Mehr an Repräsentanz, eine größere Legitimität und Effektivität, also in Summe ein Plus an echter Demokratie. Erst durch repräsentativ ausgeloste legislative Institutionen werden die Menschen genug Einfluss auf die legislativen Prozesse erlangen, um ihre (!) Zukunft zu retten (und auch um all das zu entscheiden, was die Politik dzt. an Sinnvollem und Notwendigem ignoriert, verschleppt, verwässert, blockiert…)

Haupthindernis hierfür sind die Parteien, die dem Staat okkupiert haben, und für die ein Rückzug das Ende ihrer Oligarchie bedeuten würde. Damit beißt sich die Katze in den Schwanz. Darum muss man das Undenkbare denken: Weg mit den Parteien! So lange es Parteien gibt, werden diese wie Kraken ihren Einfluss in alle Gesellschaftsbereiche ausdehnen und sich jedem Versuch, sie daran zu hindern mit Zähnen und Klauen bekämpfen. In allen genannten Problembereichen kann man das als Phase eines langen Entwicklungsprozesses sehen außer in einem: Die ökologische Krise duldet keinen Aufschub. Das Zeitfenster, wo die Menschheit noch etwas ändern kann bevor die Krise sich verselbständigt und zur Lawine wird schließt sich. Die Parteien verhindern jede entsprechend tiefgreifende Reform. Sie läuten mit ihrem Widerstand ihr eigenes Ende ein.

REVOLTIEREN WIR!

Die Parteien haben demokratiehistorisch Wertvolles und Nützliches geleistet. Aber nun haben sie ihre Schuldigkeit getan. Sie sind nicht mehr Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. „Das waren Stufen für mich," schrieb Nietzsche, „ich bin über sie hinaufgestiegen – dazu mußte ich über sie hinweg. Aber sie meinten, ich wollte mich auf ihnen zur Ruhe setzen…“

Das Ende der Parteien setzt mit der Einführung des politischen Losverfahrens ein. Dieser anstehende Evolutionsschritt der Demokratie vollzieht sich in zwei Etappen: einer Vorbereitungsphase, die das demokratische Losverfahren durch eine Verfassungsänderung überhaupt erst ermöglicht, und einer Durchführungs-Etappe, in der die legislativen Prozesse auf Basis des neuen Verfahrens umgesetzt werden.

1. VORAUSSETZUNGEN SCHAFFEN

  • Eventuelle gesetzliche Hindernisse legal beseitigen (in Deutschland z.B. können noch keine bundesweiten Volksabstimmungen durchgeführt werden; in Frankreich steht das Recht, zu einem Referendum aufzurufen überhaupt nur dem Präsidenten zu, der das Ergebnis i.d.F. nicht einmal akzeptieren muss).
  • Professionelle Prozesssteuerung gewährleisten.
  • Geeignete Fachleute für die ggf. auftretenden Fragen einbinden (Prozessbegleiter und Fachleute können durch Los aus einer im Parlament beschlossenen Liste ermittelt werden).

2. DIE ANWENDUNG IM GESETZGEBUNGS-PROCEDERE (nach T. Bouricius; adaptiert)

  1. In einem ausgelosten Agenda-Rat kommen Gesetzgebungs-Themen aus verschiedenen Quellen zusammen. Er entscheidet dann, für welche Themen Gesetze geschrieben oder geändert werden müssen. Die Bürger haben ein Petitionsrecht, um Gesetzgebungen einzuleiten.
  2. Sobald ein Thema ausgewählt ist, wird nach Freiwilligen für Interessengruppen gesucht. Jeder Interessengruppe versucht, einen Gesetzentwurf zu erstellen (Möglichkeit internetbasierter „Crowd-sourcing“-Methoden). Die diversen Interessengruppen können nach Leibeskräften versuchen, ihre Interessen in Gesetzesentwürfe zu packen: sie haben keinerlei Einfluss auf die spätere Entscheidung.
  3. Für jede Gesetzesvorlage prüft ein ausgeloster Ausschuss den Entwurf der Interessengruppen, nimmt Expertenaussagen entgegen, hält Anhörungen ab, ändert und kombiniert Gesetzentwürfe und entscheidet mit Mehrheit über endgültige Vorlagen, die in die Abstimmungsphase gehen.
  4. Jeder Gesetzentwurf kommt in eine – jeweils neu ausgeloste – gesetzgebende Versammlung. Deren Mitglieder treffen sich bis zu einer Woche lang, hören sich Pro- und Contra-Argumente an und beschließen – ohne interne Debatte – in geheimer Abstimmung.

Hinzu kommen 5. ein Verfahrens-Ausschuss, der dieses Procedere im Detail ausarbeitet und bei Bedarf modifiziert, sowie 6. ein Kontrollausschuss, der über die Einhaltung und Umsetzung dieses Verfahrens wacht.

Zusammengefasst:

Es würde den Rahmen hier sprengen, all die Vorteile dieses Verfahrens aufzuzählen. Es ist jedoch offensichtlich, dass dieses Verfahren 1. Parteien und Politiker vollkommen überflüssig macht weil es 2. Macht immer nur einmalig und zufällig verleiht. Damit lösen sich all die genannten systemischen Konstruktionsfehler der repräsentativen Demokratie in Luft auf.

Autoritäre Systeme sind effektiv, aber nicht legitimiert. Basisdemokratische Verfahren sind zwar legitimiert, aber ineffektiv. Das Losverfahren vereint beide Pluspunkte: es ist sowohl effektiv als auch legitimiert. In den Entscheidungsprozess werden auch alle möglichen Gruppeninteressen (Stichwort: Lobbyisten!) einfließen, aber sie können das Ergebnis nicht determinieren. Sie sind – abgesehen von der Macht der Argumente – machtlos. Alle, die in diesem Verfahren über Macht verfügen sind per Zufall zu dieser Macht gekommen, und das mächtigste Gremium, die (durch das Los bestimmte) gesetzgebende Versammlung, tritt überhaupt nur einmalig zusammen und löst sich danach wieder auf.

Das System repräsentative Demokratie ist das ideale Biotop für Egomanen mit dem Willen zur Macht. Das einzige nachhaltige Mittel, um die Auswüchse des Parteien-Unwesens zu verhindern, der einzige Schutz dagegen, dass dass die Demokratie sich demokratisch abschafft ist das demokratische Losverfahren.

Mit diesem Procedere ist es zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte (!) potentiell jedem Bürger möglich, die Gesellschaft zu gestalten und ihre Zukunft zu prägen. Damit können die Bürger erstmals wirklich über die Geschicke der Gesellschaft bestimmen. Und nicht nur das, sondern auch über die Geschicke der Tierwelt, der Natur, ja der ganzen Erde. Jetzt, im 21. Jahrhundert hängt deren Wohl und Wehe von uns Menschen ab – und damit unser eigenes. Jetzt haben wir nicht nur die moralische Pflicht, das Notwendige zu tun; es ist eine Überlebensnotwendigkeit! Es wäre geradezu selbstmörderisch, wenn wir weiterhin gewählte Vertreter an ihre moralische Verantwortung für die Zukunft erinnern – und dumm dreinschauen, wenn sie diese aus kurzfristigen Interessen nicht ergreifen: wenn sie weiterhin Erfüllungsgehilfen der Wirtschaftslobbies spielen und alle echten Veränderungen erst so lange hinauszögern wie es geht (möglichst bis zu den nächsten Wahlen), und wenn das nicht reicht, diese Beschlüsse bis zur Wirkungslosigkeit verwässern. Wenn sie die überlebenswichtigen Klimaziele nicht einhalten oder sich freikaufen. Wenn sie sich dem Atom- und Kohleausstieg verweigern oder ihn Jahrzehnte hinausschieben. Wenn sie die Agroindustrie finanziell weiter subventionieren. Wenn sie Massentierhaltung fördern. Wenn sie die Patentierung von Organismen genehmigen, Tiertransporte quer durch Europa akzeptieren, Rüstungsgeschäfte mit Unterdrückungs- und Folterregimen abschließen, Arbeitslose zu prekären Jobs nötigen, wertvolle Arbeit gar nicht als Arbeit einstufen oder ihren Wert lächerlich gering einstufen… – kurz: wenn sie unsere Zukunft auf dem Altar ihrer kurzfristigen machtpolitischen Interessen opfern. Wir können den ganzen ökologischen und sozialen Wahnsinn beenden! Ein repräsentativer Querschnitt der Gesellschaft kann auf dem beschriebenen Weg selbst grundlegende, langfristige und unverrückbare Ziele setzen, Normen definieren, Richtungsentscheidungen treffen – und sie dann den geeignetsten Personen zur Umsetzung übertragen.

DIE GRUNDLAGE ALLER GRUNDLAGENENTSCHEIDUNGEN

Was auch immer in dem skizzierten Gesetzgebungsprozess beschlossen werden mag, er hat eine Grundlage, die auch die Voraussetzung für alle weiteren Grundlagenentscheidungen ist: Das langfristige Überleben der Menschheit muss als oberstes Gebot in jeder Staatsverfassung unabänderlich verankert werden. Alle bestehenden Gesetze, die dem ersten Imperativ – dass eine Menschheit sei (Hans Jonas) widersprechen müssen geändert werden; neue Gesetze, die ihm widersprechen würden, dürfen nicht beschlossen werden. Auf diesem unabänderlichen Fundament müssen alle Folgeprinzipien aufbauen. Ich schlage diese folgenden vor:

  • Die Endlichkeit der Ressourcen und Tragfähigkeit der Biosphäre muss in einer international abgestimmten Weise gehandhabt werden;
  • die Prinzipien der Menschenrechte sind explizit in jeder Verfassung zu verankern;
  • die Anerkennung des Ökozids, der von der Zerstörung bestimmter Ökosysteme und deren Auswirkungen auf das Leben der betroffenen Bevölkerung bis hin zum Verbrechen der Gefährdung der Lebensfähigkeit des Planeten für die Menschheit und andere Arten reicht;
  • ebenso die Anerkennung nicht-menschlicher Rechte (der Natur, der Tiere…);
  • die Selbstorganisation des Bildungswesens (und aller anderen Institutionen des Geisteslebens), der solidarisch strukturierten Wirtschaft und des rechtlich-politischen Lebens ist verfassungsmäßig zu verankern;
  • verfassungsmäßige Grundsätze für die Verwaltung der Gemeingüter, insbesondere der ökologischen…

All das ist durch die Verankerung eines Ratschenprinzips in der Verfassung abzusichern, sodass Rückschritte ausgeschlossen werden können.

Das oben umrissene, Zufalls-basierte Verfahren ist keine Revolution im wörtlichen Sinn, auch wenn es revolutionäre Auswirkungen haben wird. Aber die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger können sich auf eine echte Revolution von innen und auf einen Flüchtlingsansturm ohnegleichen von außen gefasst machen, wenn sie die Zeichen der Zeit nicht ernst nehmen und versuchen, so weitermachen wie bisher! Noch haben sie die Möglichkeit, die Entscheidungen, zu denen sie selbst nicht imstande sind der Zivilgesellschaft zu übertragen. Darum sind sie gut beraten, sich der Selbstermächtigung der Gesellschaft und der Entmachtung der Parteien nicht in den Weg zu stellen, sondern diese aktiv zu fördern. Denn sie seien gewarnt: es geht auch ohne sie! Sie können die gesellschaftliche rEvolution nicht aufhalten. Wenn sie es doch versuchen, werden sie den Sturm ernten, den sie vermeiden wollten. Und er wird sie hinwegfegen.

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ZUR VERTEIDIGUNG DES RECHTSSTAATS

ZUR VERTEIDIGUNG DES RECHTSSTAATS

Am 19. Februar 2025 haben sechs Bürgerrechtsorganisationen eine gemeinsame Erklärung zur anstehenden Bundestagswahl veröffentlicht: "Gegen die Angriffe auf den demokratischen Rechtsstaat!" Die dort geäußerten Sorgen um die Rechtsstaatlichkeit teile ich ohne Einschränkung: die Infragestellung der Grund-/Menschenrechte, martialische Law-and-Order-Forderungen, exekutiven Ungehorsam (also die Strategie, Gerichtsentscheide schlicht zu ignorieren)

By Hanspeter Rosenlechner