ÖSTERREICH 2024: SCHARF NACH RECHTS

ÖSTERREICH 2024: SCHARF NACH RECHTS

Der Tag danach…

30 (in Worten: dreißig) Prozent meiner Landsleute (🤢) haben also am 29.9.24 einen menschenverachtenden Rechtsextremen, Herbert Kickl, und eine menschenverachtende rechtsextreme Partei, die FPÖ gewählt – und sind euphorisch über seinen / ihren Sieg. Zum ersten Mal in der Geschichte dieser historisch gezeichneten Republik ist nicht eine der ehemaligen "Großparteien" (ÖVP oder SPÖ), sondern die stabil rechtsextreme FPÖ die stimmenstärkste Partei im Nationalrat geworden.

Wie viele Andere war ich gestern (und bin es immer noch) niedergeschmettert, auch wenn alle Umfragen dieses Ergebnis schon erstaunlich genau vorhergesagt hatten. Ich schäme mich für dieses Wahlergebnis, so als hätte es etwas mit mir persönlich zu tun. Das hat es nicht; ich habe alles getan, um ein anderes Ergebnis herbeizuführen. Muss ich es trotzdem anerkennen? Als Demokrat, leider ja. Kann ich mich trotzdem für meine Mitbürger schämen? Und ob.

Der Wahlkampf Kickls war geprägt von Bosheit, Niederträchtigkeit, Verhetzung, Beleidigungen, Gemeinheiten, Pöbeleien, Diffamierungen, Schmähungen, Verhöhnungen… – und er hatte Erfolg damit. Das war es, was seine Wähler begeisterte und überzeugte. (Dass er – wie die AfD – tatsächlich jedoch ein neoliberales Programm umsetzen würde, dessen Hauptleidtragende ausgerechnet sie selbst wären – Abbau von Sozialleistungen, Steuersenkungen für Unternehmen und Reiche… –: das entgeht ihnen dabei.) Woran haben Kickl und die FPÖ bei ihren Anhänger appelliert? In Summe, an die niedrigsten und – seit es eine menschliche Hochkultur gibt – geächteten Triebe und Impulse wie Neid, Missgunst, Bosheit, Aggression, Hass…

Das heißt jetzt gerade nicht, dass die Menschen wie auf Knopfdruck auf solche Appelle und Anstachelungen reagieren müssen; ganz im Gegenteil. Jeder mündige Mensch ist ohne Einschränkung dafür verantwortlich, wie er agiert und worauf er reagiert. Die Einen reagieren auf Inhumanität mit Abscheu und bewusst humanem Verhalten; die Anderen ergötzen sich an der Inhumanität und schrecken auch vor inhumanem Verhalten nicht zurück.

Den Vorwurf müssen sich FPÖ-Wähler also gefallen lassen, dass sie – und das ist keine Unterstellung, sondern schlicht eine Tatsachenfeststellung – kein Problem damit gehabt haben, diese Inhumanität aktiv durch ihre Stimme zu unterstützen. Wie sie auch im Einzelnen zu den inhumanen Appellen und Aktionen stehen mögen: sie haben Kickl und die FPÖ gewählt. Punktum.

Eine Umfrage unmittelbar nach der Wahl hat belegt, dass die FPÖ (genau wie die AfD und andere rechtsextreme Parteien) nicht trotz, sondern wegen ihrer inhaltlichen Positionen gewählt wurde:

Was hat dieses Drittel meiner Mitbürger somit gewählt?

  • Eine Partei, die den menschengemachten Klimawandel leugnet und damit alle Maßnahmen zu ihrer Eindämmung ablehnt und diffamiert;
  • eine Partei, die jedes Mal, wenn sie konnte Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung untergraben hat;
  • eine Partei, die bei jeder Gelegenheit die Menschen- und Minderheitenrechte in Frage gestellt und ausgehöhlt hat;
  • eine Partei, die noch unverfrorener als alle anderen Parteien die Unabhängigkeit der Medien unterminiert hat;
  • eine Partei, die sich in Wort und Tat rechtsradikal und neonazistisch (wieder)betätigt hat, und wenn sie zu einer Abgrenzung gezwungen wurde, sich stets mit gespielter Empörung und mit einem Augenzwinkern aus der Affäre gezogen hat;
  • eine Partei, die in Wort und Tat ein total anachronistisches Geschlechter- und Gesellschaftsbild vertritt;
  • eine Partei, die eine Politik für die Reichen und Unternehmen auf Kosten der Kleinverdiener und sozial Schwachen betreibt;
  • eine Partei, die unverhohlen Massendeportationen ("Remigration") ankündigt und Geflüchtete an Orten "konzentrieren" (!) will;
  • eine Partei, die noch nie länger als drei Jahre in einer Regierung war weil sie sich als korrupt und unfähig erwiesen hat; die noch weniger als alle anderen Parteien gezögert hat, die staatlichen Institutionen brutal umzufärben und für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren…

Die Liste ließe sich fortsetzen. All das war all die Jahre ständig in den Medien, aber es hat die Wähler der FPÖ nicht gestört; im Gegenteil. Sogar der Ibiza-Skandal (2019), nach dem viele die FPÖ politisch abgeschrieben hatten, bewirkte letztendlich nur eine parteipolitische Ächtung ihres Haupt-Akteurs, hinterließ aber ansonsten keinen bleibenden negativen Eindruck bei ihrer Wählerschaft.

Ein bestürzendes Bildungsversagen

Fakt ist: die FPÖ-Wähler haben mit ihrer Stimme jene Positionen bestätigt. Sie haben auf die oben umrissenen Signale durch ihre Stimme positiv-affirmativ reagiert. Es gibt also bei ihnen eine klare Resonanz mit jenen Signalen – mit jenen demonstrativ zur Schau gestellten niedrigen Trieben und Impulsen (Neid, Missgunst, Bosheit, Aggression, Hass…). Diese Resonanz ist Ausdruck eines bestürzenden Bildungsversagens. Bei vielen ist es ein offensichtlicher Mangel an intellektueller Bildung – wie strunzdumm muss man sein, um Kickl zu glauben, ein Entwurmungsmittel sei die beste Corona-Therapie?! In jedem Fall handelt sich bei einer solchen Resonanz um einen bestürzenden Mangel an Charakter- und Herzensbildung. Es ist nur logisch, dass diese Kombination aus Borniertheit, Charakter- und Herzlosigkeit zu einer Gesellschaft führt, die vor Unfreiheit, Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit nur so strotzt. 🔄

Der Mangel an Charakter, Herz und Hirn mündet aber nicht nur in einer gesellschaftlichen, sondern letztlich auch in der ökologische Krise. Denn wenn die FPÖ und ihre Anhängerschaft mit etwas auf Kriegsfuß steht, dann Komplexität. Was Kickl und seine Parteigenossen so beliebt macht, ist schwarzweißmalend, simplifizierend, emotionalisierend, polarisierend…, kurz: katastrophal unterkomplex, sowohl in gesellschaftlicher als auch in ökologischer Hinsicht. Sie sind weder kognitiv noch emotional noch in ihrem Verhalten der sozialen und der ökologischen Komplexität gewachsen.

(Rechts)populistische Parteien wie FPÖ, ÖVP (🇦🇹), AfD, CDU/CSU (🇩🇪), RN (🇫🇷), FdI (🇮🇹)… sind in Wort und Tat ein Inbegriff dieser Komplexitäts-Unterdrückung.

Sie sind damit in der schlechten Gesellschaft aller populistischen Parteien. Komplexität ist schwer verständlich und deshalb ungeeignet, um bei Wahlen zu punkten; anspruchsvolle Zielsetzungen sind nur langfristig und schwierig zu erreichen und damit ebenfalls wahltaktisch kontraproduktiv. Populisten weichen deshalb allen schwierigen, grundlegenden, langfristigen Lösungen aus und setzen stattdessen auf einfache, kurzfristige, symptomatische "Lösungen". Solche Problemverschiebungen und Scheinlösungen sind den Wählern und Quoten-Medien weit leichter zu verkaufen. Die sozialen und ökologischen „Kollateralschäden“ einer solchen unterkomplexen Politik werden erst irgendwann in der Zukunft schlagend, jedenfalls nach der aktuellen Legislaturperiode, während für diese Politiker entscheidend ist, dass sie bei den nächsten Wahlen optimal abschneiden.

Parteien und Politiker können sich diesem Zwang zur Komplexitätsreduktion und diesem Spin zum Populismus prinzipiell kaum entziehen, da sie gewählt werden müssen, um überhaupt politische Entscheidungen treffen zu können. Gewählt zu werden, ist ein demokratisches „Macht-Apriori“. Das Macht-Apriori liegt in der systemischen DNA jeder Partei, andernfalls sie in dem Beliebtheitswettbewerb a.k.a. Wahlen unterginge. Populistische Parteien kennzeichnet zudem, dass sie der Logik des Macht-Apriori radikal folgen. Ihre Rhetorik ist eine strategische Populisten-Propaganda, bei der die Inhalte nur noch instrumentell-manipulativ eingesetzt werden – als Trigger erwünschter Wirkungen und Reaktionen.

Wenn populistische, also radikal opportunistische Parteien – im Schulterschluss mit den von ihnen favorisierten Quoten-Medien – mit einer solchen Unterkomplexität bei ihrer Wählerschaft punkten, verblöden und verhetzen sie sie damit systematisch. In Wort und Tat machen sie sie glauben, dass die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts entweder nicht existieren oder mit einfachen, radikalen Mitteln lösbar seien – und wer etwas anderes behaupte, verfolge damit seine Ideologie und wolle euch arme Bürger eurer Freiheit berauben und euch zu etwas zwingen, was ihr überhaupt nicht wollt und was nicht in eurem Interesse liegt.

Die Wirkung dieser verlogenen Suggestion ist, dass ihre Zielgruppe die Komplexität der heutigen Probleme weiterhin ignoriert, m.a.w. weiter verblödet, was in Rückwirkung zur Folge hat, dass die Probleme durch eine solche radikale Problemvermeidung nur noch größer werden (Stichpunkte: Klimakrise, Klima-Migration, soziale Spannungen, Polarisierung, Radikalisierung, Gewaltbereitschaft…). 🔄 Die damit wachsende Angst und Empörung der Menschen wird von den Angst- und Empörungs-Entrepreneuren der genannten Parteien geschürt, und wenn sie glüht, wiederum aufgegriffen und zu loderndem Feuer angefacht. 🔄 Damit ist 1. der Teufelskreis des Populismus geschlossen, 2. der Teufelskreis der gesellschaftlichen Verblödung und Verhetzung, und 3. der Teufelskreis der sozialen und ökologischen Eskalation. 🔄

Der Ausgang aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit

Wir haben es hier also in Summe mit einer massiven Gegenaufklärung zu tun – im Sinne einer (Selbst-)Arretierung der Menschen in ihrer – letztlich selbstverschuldeten – Unmündigkeit. Das Gute am Schlechten: wenn sie selbstverschuldet ist, wenn die Menschen selbst verantwortlich sind für die Entwicklung ihrer Mündigkeit, liegt auch hier der Hebel für ihren Ausbruch aus dem Teufelskreis ihrer Stagnation und Regression: Aufklärung – "der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit."

"Aufklärung" meine ich nicht nur im intellektuellen Sinn, sondern – vgl.o. – im Sinn einer allseitigen Entwicklung: von der Charakter- und Herzensbildung der kleinen Kinder angefangen bis zur intellektuellen und emotionalen Reife, dank der sie der Komplexität auch im Leben gewachsen sind – der Komplexität ihrer eigenen Psyche, ihres "inneren Teams", ihrer persönlichen Beziehungen, sowie der Komplexität der sozialen und ökologischen Welt. Diese Fähigkeit ist im 21. Jahrhundert nicht nur "nice to have"; sie ist eine Überlebensnotwendigkeit. Je komplexer die Welt wird, desto notwendiger wird es, dass sich die Menschen dieser Komplexität bewusst werden, und je mehr sie sich dessen bewusst werden, desto besser sind sie den Herausforderungen der Komplexität lebenspraktisch gewachsen. 🔄

Das ist der langfristige Weg. Kurzfristig sind hingegen andere, weniger grundlegende Lösungen Not-wendig – wie in Deutschland z.B. ein AfD-Verbot, das mir gesellschaftlich ungefähr so heilsam vorkommt wie ein notärztlicher Luftröhrenschnitt… Präventiv notwendig ist auch insbesondere eine strukturelle Stabilisierungen der Gewaltenteilung. Die außerordentliche Macht etwa, die die österreichische Bundesverfassung dem Bundespräsidenten gibt, ist noch ein autoritärer Rest ihrer Entstehungszeit. Rechtzeitig vor der nächsten Bundespräsidentenwahl, bei der – sofern er nicht jetzt Bundeskanzler wird – höchstwahrscheinlich Kickl kandidieren wird, sollte diese Macht dringend beschnitten und demokratisch eingehegt werden. Leider kann eine solche Verfassungsänderung ohne parlamentarische Übermehrheiten nicht beschlossen werden, die schwer vorstellbar erscheinen, wenn man sieht, wie sich die (ehemaligen) Großparteien in Populismus und Nachahmung der Rechtsradikalen gegenseitig überbieten. Damit beißt sich die Katze in den Schwanz, und ich habe keine Lösung für dieses Dilemma.

Leider muss es wohl noch deutlich schlechter werden, ehe es besser werden kann. Keine echte Veränderung ohne Leidensdruck, und je tiefgreifender die notwendige Veränderung, desto größer der dafür nötige Leidensdruck.

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ZUR VERTEIDIGUNG DES RECHTSSTAATS

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Am 19. Februar 2025 haben sechs Bürgerrechtsorganisationen eine gemeinsame Erklärung zur anstehenden Bundestagswahl veröffentlicht: "Gegen die Angriffe auf den demokratischen Rechtsstaat!" Die dort geäußerten Sorgen um die Rechtsstaatlichkeit teile ich ohne Einschränkung: die Infragestellung der Grund-/Menschenrechte, martialische Law-and-Order-Forderungen, exekutiven Ungehorsam (also die Strategie, Gerichtsentscheide schlicht zu ignorieren)

By Hanspeter Rosenlechner