POPULISTEN-PROPAGANDA

POPULISTEN-PROPAGANDA

Die Wahlen in Sachsen und Thüringen letzten Sonntag, die Rechtsextremen einen fulminanten Erfolg beschert haben waren für alle Demokraten ein Schock. Schlimmeres noch wird wohl Ende September in Österreich bevorstehen, wo alle Umfragen die rechtsextreme FPÖ mit ihrem radikalen Spitzenkandidaten Kickl klar an der Spitze sieht. Orban in Ungarn, Meloni in Italien, Duda in Polen, Fico in der Slowakei, Maduro hat in Venezuela offensichtlich seinen Wahlsieg ergaunert, Bolsonaro ist in Brasilien fürs erste ausgeschaltet, Trump versucht ein zweites Mal, Präsident der USA zu werden… Die Liste ließe sich ins Endlose fortsetzen mit Populisten wie Merz, Söder, Kretschmer, Spahn, Linnemann… in Deutschland, Nehammer, Doskozil… in Österreich, den Ex-Regierungschefs von Großbritannien etc. etc.

Sie alle verbindet neben anderen typisch populistischen Merkmalen eine besondere Form der Propaganda, oder neutraler formuliert: der politischen Kommunikation. Sie wurde schon unzählige Male beschrieben, aber meines Wissens noch nie in ihrem methodischen Kern durchschaut.

Dass dieses methodische Kommunikationsprinzip nach wie vor nicht klar ist, zeigt sich in der Art und Weise, wie darauf reagiert wird. Dass diese Faschisten und Populisten mit Fakten und Ehrlichkeit wenig am Hut haben, stellen sie alle Tage unter Beweis. Wie reagieren die Verteidiger der Demokratie darauf? Sie widerlegen die Lügen, demaskieren die Unwahrheiten (den "alternativen Fakten") mit den tatsächlichen Fakten, sie versuchen mit den besseren Argumenten "die Populisten inhaltlich zu stellen", wie es immer wieder heißt. Doch das funktioniert alles nicht.

Zum einen, weil die Richtigstellung kaum je in Echtzeit, ad hoc stattfinden kann; wird sie aber mit Verzögerung nachgeliefert, ist die Reichweite der Entgegnung bei weitem geringer, denn kaum jemand nimmt sie dann noch zur Kenntnis.

Abgesehen davon widerlegt aber auch die Erfahrung den Glauben, Faschisten und Populisten mit Argumenten beizukommen. Sie behalten irgendwie immer Oberwasser. Es lohnt deshalb, sich ihre Kommunikationsweise genauer anzuschauen.

PERFORMATIVE RHETORIK: INHALT VS. WIRKUNG

Es ist klar, dass Kommunikation über Inhalte verläuft. Darüber hinaus jedoch wurde sie schon immer rhetorisch eingesetzt, d.h. mit Blick auf ihre manipulative Wirkung. In der Propaganda erlangt nun die Wirkung die Oberhand über den Inhalt. Worte und Inhalte werden instrumentalisiert; ihr eigentlicher Gehalt tritt in den Hintergrund. Sprachwissenschaftlich gesehen, könnte man sie im Unterschied zur "normalen", semantischen (inhaltsorientierten) Kommunikation eine wirkungsorientierte, performative Kommunikation nennen.

Dieser performative Aspekt ist ein zentraler Bestandteil der populistischen Rhetorik. Sie benutzt Worte, Wendungen, Argumente… nicht aufgrund ihres Inhalts, sondern wegen ihrer Wirkung auf die Zuhörer. Populisten handhaben sie oft geradezu virtuos. In ihren perfekt einstudierten Reden platzieren sie punktgenau Schlagwörter und Phrasen, die genau den gewünschten emotionalisierenden Effekt haben. In Interviews können sie wie aus der Pistole geschossen ad hoc mit den optimalen Begriffen und Wendungen reagieren – optimal nicht im inhaltlichen, sondern im performativen, manipulativen Sinn. Sie erzielen ebenso spontan wie treffsicher die erwünschte Wirkung – Angst, Verunsicherung, Empörung, Wut… Die Inhalte sind dabei völlig sekundär; sie sind nur noch Vehikel – Mittel zum Zweck.

Bei einer sachlichen, d.h. primär inhaltsbezogene Kommunikation ist man darauf konzentriert, die richtigen Worte und Wendungen für die richtige Argumentation zu verwenden. Die zweite, höhere Aufmerksamkeit für die performative Wirkung der Argumente läuft dabei – wenn überhaupt – wie nebenher. Dieses Bewusstsein für das Wie der Kommunikation, für die kommunikative Metaebene tritt bei der performativen Kommunikation in den Hintergrund. Worte und Inhalte werden zum austauschbaren Instrument der manipulativen Absicht.

DIE RECHTEN "INHALTLICH STELLEN"?!

Hier liegt der Grund für die performative Überlegenheit populistischer Rhetoren. Man kommt ihnen auf der semantischen Ebene – was inhaltlich gesagt wird – nicht bei, weil sie primär auf der performativen Ebene operieren – wie es wirkt. Es ist ein Spiel wie zwischen Hase und Igel: wenn der Hase beim Wettlauf mit dem Igel siegesgewiss ans Ziel kommt, wartet dort bereits dessen Frau und sagt: "Ich bin schon da" – und der Igel lacht sich eins und dreht ihm eine lange Nase.

Populisten und Faschisten dirigieren das Puppenspiel auf der Ebene der Puppenspieler, während ihre Kommunikationspartner meinen, ihnen auf der Puppenbühne argumentativ beikommen zu können. Der Glaube, sie auf der Sachebene "inhaltlich stellen" zu können, ist deshalb in den meisten Fällen eine blauäugige Illusion. Das Sachargument wird auf der Inhaltsebene angebracht, doch die Antwort kommt von der strategisch-performativen Ebene und wirkt durch Begriffe, Wendungen, Andeutungen, Thesen…, die eben nicht nur inhaltlich, sondern vor allem nach ihrer performativen Kraft gewählt sind.

Das Publikum im "Puppentheater" erlebt einerseits die Rede oder Diskussion, wird aber dabei ständig unterschwellig jener Manipulation ausgesetzt. Wer das spürt, wird die Absicht durchschauen und sich abgrenzen. Bei wem die Manipulation unterschwellig bleibt, fällt auf die Suggestion, Angstmache und Hetze herein (bzw. wendet sich angewidert ab; je nach Charakter, Prägungen…).

Willst du Populisten auf etwas festnageln, flutschen sie dir durch die Finger wie Fische. Sie sind beweglich und aalglatt. Ob sie deinem Angriff taktisch ausweichen wie Judoka, um dich ins Leere laufen zu lassen, oder ob sie dich attackieren: jeder Move ist nicht nur inhaltlich ausgerichtet, sondern vor allem performativ. Sie verfolgen ihre linke oder rechte oder irgendeine gesellschaftspolitische Agenda ganz opportunistisch: jedes rhetorische Mittel ist ihnen recht. Ihre Strategie ist dabei überaus anpassungsfähig. Wenn es heute opportun erscheint, eine Position von gestern aufzugeben, dann wird nicht lang gefackelt, so lange es im Rahmen der gesellschaftspolitischen Agenda bleibt. Der Zweck – der Wahlerfolg – heiligt jedes Mittel. Der populistische Opportunismus kennt dabei keinerlei ethische oder Schamgrenzen. Wer sich vom Sachlichen so weit ins Performative verabschiedet hat wie diese Populisten und Faschisten, ist mit Argumenten nicht mehr erreichbar: er will es gar nicht mehr sein, weil es seine Wirkung beeinträchtigen würde. Die Zeiten einer sachlichen Auseinandersetzung sind vorbei.

Wenn Populisten oder Faschisten in Quoten-Medien eine Bühne geboten wird – skandalöserweise oft ausgerechnet von Talkshow-Hosts, die sowohl von der Einladung als auch an der Quote verdienen –, dann entspricht diese Bühne genau dem beschriebenen "Puppentheater", aber vor Millionen-Publikum. Vordergründig wird diskutiert, unterschwellig manipulieren die Puppenspieler hingegen ständig mit ihrer performativen Propaganda: Sie schüren Angst, Wut, Neid… und lachen sich ins Fäustchen.

Wo liegt der absolute Tiefpunkt solcher performativen Rhetorik? Wenn die Basis semantischer Kommunikation – Wahrheit und Faktizität – überhaupt nichts mehr zählt. Diesen Tiefpunkt haben Trump und die US-Republikaner als erste erreicht – und bald auf der ganzen Welt Nachahmer gefunden. Vollkommen faktenbefreit, operieren sie mit Lügen und Diffamierungen, um ihre Anhängerschaft zu manipulieren und aufzuhetzen.* Und überall erkennen Populisten den strategischen Vorteil dieser Strategie und ahmen sie nach – erst die Rechtsradikalen und Protofaschisten (AfD, FPÖ, RN…), dann die ehemals "bürgerlichen" Parteien der Mitte (CDU/CSU, ÖVP…).

Was ist nun die Konsequenz daraus? Welche Optionen für eine Kommunikation mit Populisten und Faschisten ergeben sich daraus?

Grundsätzlich gilt: Mit Faschisten diskutiert man nicht. Punkt. Aber die Grenze zwischen Politikern, Populisten und Faschisten ist völlig fließend. Also was dann? Man realisiert im Gespräch, was gerade kommunikativ / manipulativ abgeht, aber die Diskussion geht ja gleichzeitig weiter. Es ad hoc zu verbalisieren, bringt nichts – die Wortwahl steht jedem Menschen frei, und eine böse Absicht dahinter zu unterstellen, würde als nicht beweisbare, böswillige Unterstellung zurückgewiesen. Ist es eine Option, mit den selben Mitteln zu reagieren – also ebenfalls primär performativ, d.h. manipulativ zu kommunizieren? Das wäre einerseits moralisch höchst fragwürdig, andererseits haben die "Guten" gegenüber den "Bösen" den Nachteil, dass sie ihre "guten" Begriffe, Wendungen, Thesen… der Wirkmacht der "bösen" unterlegen sind. Angst, Wut, Neid… – das ganze Spektrum negativer Stammhirn-Affekte ist stärker als positive Gefühle. Ich glaube, man kann in einer öffentlichen Diskussion mit einem Populisten, der ständig Wut, Neid, Angst triggert gar nicht so viel positive Emotionen wecken, dass die negativen ausgeglichen werden könnten. Es bewirkt höchstens eine weitere Spaltung – in eine Blase der Anhängerschaft der Populisten und eine ihrer Gegner.

DIE WURZEL DES POPULISMUS: WAHLEN

Eine grundlegende Lösung der komplexen Problematik populistischer Propaganda sehe ich nur in einer grundlegenderen Lösung, nämlich des Problems Populismus generell. Ein Rezept allein für die rhetorische Manipulation der Populisten wäre eine symptomatische Lösung. Das eigentliche Problem sind nicht einmal die Populisten selbst – sie sind austauschbar und wechseln ohnehin im Lauf der Zeit, während der Populismus nur immer krasser wird. Nein, das Grundproblem sind jene Systeme, die Populismus hervorbringen und durch Populismus verstärkt werden 🔄 – Wahlen und das Macht-Apriori der Parteiendemokratie. Aber das führt hier zu weit; ich verweise dafür auf diesen älteren Essay USA 2020: Gerade noch davongekommen? und diesen jüngeren Datums: Parteiendemokratie ist nichts für Krisen.

*) Nachträgliche Bestätigung: "Nachdem Donald Trump im TV-Duell mit Kamala Harris die absurde Behauptung gemacht hat, dass Einwanderer in Springfield im US-Bundesstaat Ohio Katzen und Hunde essen würden, sind gleich mehrere Dinge geschehen. Die Menschen in Springfield, und nicht nur die Einwanderer dort, leben in Angst. Es gab Morddrohungen, Bombendrohungen, Schulen wurden geschlossen, das Rathaus abgeriegelt, die rechten Proud Boys marschierten in den Straßen auf. Der republikanische Gouverneur schickt mehr Polizisten, um die Schulen zu schützen.  Dass die rassistische Lüge längst als solche enttarnt wurde, bringt den Menschen in der Stadt keine Ruhe. Die Geschichte ist in der Welt. Sie hat ihren Zweck aus Trumps Sicht erfüllt. Sie hat Angst verbreitet. Und dann ließ sich Trumps Vizepräsidentschaftskandidat J. D. Vance am Wochenende von CNN interviewen und räumte die Lüge ganz offen ein. 'Wenn ich Geschichten erfinden muss, damit die amerikanischen Medien dem Leiden des amerikanischen Volkes tatsächlich Aufmerksamkeit schenken, dann werde ich das tun', sagte Vance im Gespräch mit Dana Bash." (Die Zeit, 20.09.2024)

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Am 19. Februar 2025 haben sechs Bürgerrechtsorganisationen eine gemeinsame Erklärung zur anstehenden Bundestagswahl veröffentlicht: "Gegen die Angriffe auf den demokratischen Rechtsstaat!" Die dort geäußerten Sorgen um die Rechtsstaatlichkeit teile ich ohne Einschränkung: die Infragestellung der Grund-/Menschenrechte, martialische Law-and-Order-Forderungen, exekutiven Ungehorsam (also die Strategie, Gerichtsentscheide schlicht zu ignorieren)

By Hanspeter Rosenlechner