DIE LIZENZ ZUM FOLTERN (1)

Q.e.d: Auf seine nationale Souveränität beruft sich nur, wer ungeschoren Menschenrechte mit Füßen treten will. Die kanadische Außenministerin hatte die Inhaftierung von Samar Badawi, der Schwester Raif Badawis kritisiert, die Solidarität Kanadas mit ihr bekräftigt und ihre Freilassung gefordert.

Prompt wurde sie zur persona non grata erklärt und ausgewiesen; Handelsabkommen und Investitionen wurden ad hoc eingefroren. Begründung: Dies sei eine "Einmischung in die inneren Angelegenheiten Saudi-Arabiens" gewesen.
Saudi-Arabien beruft sich also auf seine nationale Souveränität. Seine Souveränität, die über den Menschenrechten steht. Wieso eigentlich? Die Menschenrechte sind Teil des Völkerrechts. Internationales Recht kann nur durchgesetzt werden, wenn es über nationalem Recht steht. Und da liegt der Hund begraben. Wenn eine Regierung das Völkerrecht nicht vorbehaltlos anerkennt und Kritik wie die von Chrystia Freeland als "Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates" abschmettert, müssen für die Bürger Saudiarabiens die Alarmglocken läuten. Denn das heißt: Die Regierung stellt ihre Macht über das Völkerrecht, um ungeschoren Menschenrechte mit Füßen treten zu können.
Was ist die Konsequenz daraus? Dass die Bürger sich vor ihrer eigenen Regierung schützen müssen. Denn von wem hört man immer wieder das Mantra von der "Einmischung"? Außer Mohammed bin Salman fallen mir da Namen wie Putin, Orban, Erdogan… ein – all die Autokraten dieser Welt, die 1. ein Klima der nationalen Wehleidigkeit schaffen, 2. den Nationalstolz beschwören (das "Wir…"), 3. sexuelle, nationale, sprachliche, kulturelle… Minderheiten diskriminieren, 4. Aggressionen nach außen schüren und das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" beschwören, um sich für ihre Menschenrechtsverletzungen nicht zur Rechenschaft ziehen lassen zu müssen. Vor solchen Leuten müssen sich die Bürger schützen, so lange sie das können. Sie müssen ihre Grundrechte vor den "illiberalen Demokraten" absichern, bevor es zu spät dafür ist und diese jede Kritik von außen als "unerwünschte Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates" zurückweisen.
Was heißt das konkret? Dass die Bürger 1. erkennen, dass die nationale Souveränität keine Zier ist, sondern eine fatale Fehlkonstruktion; dass sie 2. erkennen, dass diese Fehlkonstruktion stets nur beschworen wird, wenn Regierungen sich gegen Kritik von außen immunisieren wollen, insbesondere wenn sie die Grundrechte von Minderheiten mit Füßen treten und dafür kritisiert werden; dass sie 3. das nationale Selbstbestimmungsrecht durch Volksentscheid abschaffen und als oberste völkerrechtliche Instanz internationale Gerichte anstelle nationaler anerkennen.
Sobald die Bürger das beschlossen haben, können diese Völkerrechts-Gerichte jede Regierung für ihre Handlungen zur Rechenschaft ziehen. Keine Regierung kann sich mehr hinter dem hohlen Schlagwort "Souveränität" verstecken.
Nachtrag 9.8.: "Die harschen Sanktionen erklären sich Experten mit dem Drang von Kronzprinz Mohammed Bin Salman, an Kanada ein Exempel zu statuieren und andere Länder so von Kritik an seinem Herrschaftsstil abzuhalten." (Standard)
Nachtrag 11.8.: "Wenn es ausländische Nörglerinnen und Nörgler trotzdem wagen, seine massive Repression im eigenen Land zu kritisieren, haut Mohammed bin Salman gerne richtig drauf. So wie er seine Interessen überhaupt mit einer Härte vertritt, die nicht gut zum Bild des beliebten Reformers passt." (ZEIT)
Etc. etc.