SCHULNOTEN: (K)EIN THEMA FÜR ALLE


In Zeitungs-Foren ist es meist wie im Stadtpark. Da sitzt wer auf der Bank mit einem Säckchen Körner, füttert die Tauben und freut sich daran, wie eifrig sich der ganze Schwarm auf das Futter stürzt und aufpickt, was das Zeug hält (nicht ohne auch laufend auf einander einzuhacken). Wie die Parktauben auf ihre Fütterung lauernd die Foren-Teilnehmer auf die neuesten Nachrichten zum Kommentieren. Dabei erreichen diese Beiträge selten ein Niveau, wo sich nicht spontane Fluchtreflexe bemerkbar machen. Bisweilen werden den "Usern und Userinnen" (sic) auch Themen vorgeworfen, deren Eignung für ein Pro und Kontra äußerst zweifelhaft ist – wie heute im STANDARD, bezüglich Schulnoten.
"Wie stehen Sie zur Wiedereinführung der Ziffernnoten?", wird da gefragt – und passenderweise gleich dazu aufgefordert, auch die Wiedereinführung der Noten zu benoten (Stand 19:00; die Verteilung war den ganzen Tag über stabil und spiegelt die generelle gesellschaftliche Polarisierung wider):

Tja, wie stehe ich zu den Noten? Oder ist die Frage etwa ganz falsch gestellt? Welche Bedeutung hat es für die Kinder, was Hinz oder Kunz zur Benotung meinen?
Es ist bei den pädagogischen Themen leider immer Dasselbe: Jeder hält sich für kompetent, zu allen Unterrichts- und Erziehungsfragen eine Meinung zu haben und diese im Brustton des Experten zu vertreten. Darum denkt sich ja auch österreichische Regierungsspitze nicht das Geringste dabei, alle Fakten und Argumente der entsprechenden Fachleute in den Wind zu schlagen und nach persönlichem Gutdünken eine Wiedereinführung der Noten zu beschließen. Was zählt schon die Expertise von Menschen, die sich ihr Leben lang mit solchen Fragen beschäftigen, theoretisch bzw. praktisch? Da können ein Beinahe-Jurist und ein Zahntechniker getrost drauf pfeifen, deren Qualifikation in dieser Frage darin besteht, ihr Lebtag lang an ihrer Politkarriere gebastelt und im Übrigen keine Stunde in einer Schule unterrichtet zu haben.
Wir schreiben das Jahr 2018: endlich hat sich auch an den Universitäten die Einsicht durchgesetzt, dass Noten ein Schmarrn sind. Sogar der zuständige Bildungsminister gibt im STANDARD-Interview mit entwaffnender Offenheit zu: "
Es ist eine politische Entscheidung, wie vieles, was ich entscheiden muss. Nicht hinter jeder politischen Entscheidung gibt es auch eine wissenschaftliche Fundierung." Aber das schert diese Regierung wenig. Was auch immer ihre Motive sein mögen: sachlich-fachlich fundierte sind es eindeutig nicht. Wasan Motiven noch
bleibt, darüber kann man nur spekulieren; am wahrscheinlichsten scheint mir, dass konservative Interessengruppen befriedigt werden sollen, um sich deren Unterstützung für die nächste Wahl zu sichern.
Was sind die Schlüsse daraus?
- Ob Noten sinnvoll sind oder nicht, ist keine Frage, über die ein Internet-Forum befinden könnte. Meinungen sind da vollkommen wertlos. Das ist eine pädagogische Frage, die ausschließlich mit der entsprechenden pädagogischen Kompetenz beantwortet werden kann und darf.
- Noch grundsätzlicher: Die Definition der Unterrichtsziele, die Lehrpläne und die Evaluierung des Unterrichts gehören nur in die Hände von Menschen, die dafür die notwendige pädagogische Kompetenz mitbringen. Der Politik obliegt allenfalls eine einzige Entscheidung: sich aus dem Bildungswesen völlig zurückzuziehen.
- Um das Bildungswesen nachhaltig aus dem Würgegriff der Politik zu befreien, gibt es nur die Option: seine völlige Autonomie und Selbstverwaltung.
"Worauf es in der Gegenwart ankommen muß, das ist, die Schule ganz in einem freien Geistesleben zu verankern. Was gelehrt und erzogen werden soll, das soll nur aus der Erkenntnis des werdenden Menschen und seiner individuellen Anlagen entnommen sein. Wahrhaftige Anthropologie soll die Grundlage der Erziehung und des Unterrichtes sein. Nicht gefragt soll werden: Was braucht der Mensch zu wissen und zu können für die soziale Ordnung, die besteht; sondern: Was ist im Menschen veranlagt und was kann in ihm entwickelt werden? Dann wird es möglich sein, der sozialen Ordnung immer neue Kräfte aus der heranwachsenden Generation zuzuführen. Dann wird in dieser Ordnung immer das leben, was die in sie eintretenden Vollmenschen aus ihr machen; nicht aber wird aus der heranwachsenden Generation das gemacht werden, was die bestehenden soziale Organisation aus ihr machen will." (Rudolf Steiner, 1919)
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