SEEHOFER UND SEINE GRENZEN

Ein kurzes Postskriptum zu der unsäglichen Aktion des deutschen Innenministers

Ich möchte meine Meinung zu Seehofer im besonderen und zur Grenzsicherung im allgemeinen hintanstellen. Sie ist ebenso relevant oder irrelevant wie die Meinung von Hinz oder Kunz. Kein Grund also, sie hier breitzutreten.Für relevant halte ich das, was sich in diesem Verhalten ausspricht: das eiskalte Machtkalkül eines hochtalentierten Taktikers. Seehofer ist ein Paradebeispiel für die weniger persönlich als System-bedingten Fehlentwicklungen und der Parteiendemokratie. Wie ich in diesem Essay auseinandergesetzt habe, ist das Streben nach Macht die DNS der Parteien schlechthin. Weshalb diese Eigendynamik ab einem gewissen Stadium der Entwicklung stärker wird als ihr eigentlicher Sinn und Zweck: die Interessen der Bürger zu repräsentieren. Sie arbeiten ab dann mehr für sich als für die Bürger, was sie längerfristig ihre Legitimation kostet und die Parteiendemokratie aushöhlt – bis man sie für entbehrlich hält und nach einem Führer ruft, der diesen "demokratischen Saustall ausmistet". Deshalb sind Parteien inzwischen kein Teil der Lösung unserer vielfältigen ökosozialen Probleme mehr, sondern selbst ein Teil des Problems.Wenn Seehofer sich über die verfassungsmäßige Richtlinienkompetenz von Bundeskanzlerin Merkel hinwegsetzt, überschreitet er seine verfassungsmäßigen Grenzen. Aber die eigentliche Frage ist auch hier eine andere: Reicht der Schutz von Grundrechten in Form einer Richtlinienkompetenz der Regierungschefin aus? Oder anders gefragt, was, wenn die Falschen gewählt werden? Personen, die Menschenrechte für weniger wichtig halten als ihren Machterhalt? Personen, die bestimmten Minderheiten etliche Grundrechte gar nicht erst zugestehen wollen – aus subjektiven Überzeugungen, religiösem Fundamentalismus, was auch immer? Dann hat die – demokratisch formal legitimierte – Regierung die Richtlinienkompetenz für Menschenrechtsverletzungen! (Ich brauche jetzt keine aktuellen Beispiele aufzuzählen; die fallen jedem Informierten reihenweise ein wie mir.)Was kann also ein grundlegender und nachhaltiger Schutz der Grundrechte sein? Ein Schutz auch vor Regierungen, die sie missachten, beschneiden, abschaffen? Ein Schutz auch vor fatalen ökologischen Zerstörungen? Vor politischer Willkür bis hin zu Angriffskriegen? Ein Schutz vor allem, was z.B. Trump repräsentiert?Ein solcher robuster Schutz kann darin liegen, dass keiner Regierung die Richtlinienkompetenz für ökosoziale Grundlagenentscheidungen zugebilligt wird. Wenn die Bürger als Souveräne dieses Recht exklusiv für sich beanspruchen, können Politiker keine so weitreichenden Fehlentscheidungen mehr treffen wie derzeit. Die Bürger können jederzeit in Volksentscheiden über solche Grundsatzfragen abstimmen und beschließen, was sie für richtig und wichtig halten. Und das den Politikern zur Umsetzung übertragen. Das ist demokratische Richtlinienkompetenz. Bedingung ist, dass diese Grundrechte 1. Verfassungsrang haben und 2. keine Parlamentsmehrheit diese Verfassung mehr verändern kann. Die Existenzbedingungen der Menschheit dürfen Politiker nicht zerstören können, die Grundrechte der Bürger dürfen Politiker nicht beschneiden können. Bezüglich ihrer Existenzfragen müssen die Bürger, die Souveräne, der Politik und insbesondere den Parteien ihre Grenzen aufweisen und ihnen zeigen, wo Gott hockt.

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ZUR VERTEIDIGUNG DES RECHTSSTAATS

ZUR VERTEIDIGUNG DES RECHTSSTAATS

Am 19. Februar 2025 haben sechs Bürgerrechtsorganisationen eine gemeinsame Erklärung zur anstehenden Bundestagswahl veröffentlicht: "Gegen die Angriffe auf den demokratischen Rechtsstaat!" Die dort geäußerten Sorgen um die Rechtsstaatlichkeit teile ich ohne Einschränkung: die Infragestellung der Grund-/Menschenrechte, martialische Law-and-Order-Forderungen, exekutiven Ungehorsam (also die Strategie, Gerichtsentscheide schlicht zu ignorieren)

By Hanspeter Rosenlechner