T. REX UND DIE LEHREN DARAUS

Der Soziologe Niklas Luhmann bezeichnete wechselseitig aufeinander bezogene Handlungen, die sich von anderen Handlungen abgrenzen als gesellschaftliches "System". Dadurch grenzen sie sich von ihrer Umwelt (von anderen Systemen) ab. Das klingt äußerst abstrakt-theoretisch, aber jeder kennt Systeme aus dem Alltag – Familiensysteme (diese Familie im Unterschied zu anderen), Organisationssysteme (dieses Unternehmen mit seiner spezifischen Unternehmenskultur im Unterschied zu anderen)… bis hin zu Gesellschaftssystemen (Demokratien, Monarchien, Theokratien, Diktaturen…).

Vor einem Jahrhundert hat Rudolf Steiner darauf hingewiesen, dass sich eine Gesellschaft 1.) in drei Subsysteme gliedert (wenn sie nicht von außen daran gehindert wird) – in ein wirtschaftliches, ein staatlich-rechtliches und in ein geistiges (Wissenschaft, Kunst, Religion, Bildungswesen…) –, und 2.) dass jedes dieser Systeme (wenn es nicht von außen daran gehindert wird) eine spezifische Entwicklungsdynamik hat, die sich über kurz oder lang durchsetzt. Die meisten Krisen und sozialen Erschütterungen sind darauf zurückzuführen, dass diese Systeme sich entweder nicht entsprechend ihrer "DNS" entfalten können oder die Systemgrenzen der anderen Subsysteme nicht respektieren.

Diese dreifache systemische Entwicklungsdynamik ist weder ausgedacht noch eine willkürliche Zuschreibung. Sie ist in den Menschen selbst angelegt, was jeder unschwer bei sich selbst und bei anderen beobachten kann:

  • Hinsichtlich seiner Bedürfnisse ist jeder Mensch, der nicht irgendwo abgeschieden als radikaler Selbstversorger haust auf andere angewiesen – auf Arbeitsteilung und auf Märkte. Die Bedürfnisse können umso besser befriedigt werden, je besser die Kooperation zwischen den Marktteilnehmern funktioniert. Je weniger hingegen die Kooperation funktioniert, also je mehr einer auf Kosten des anderen agiert, desto größer die dadurch entstehenden Spannungen. Die Entwicklungsdynamik des wirtschaftlichen Lebens ist also Kooperation (oder mit dem Schlagwort der französischen Revolution: Brüderlichkeit).
  • Wenn Menschen miteinander Vereinbarungen treffen, dann auf Augenhöhe, als gleichberechtigte Partner. Wenn sie Regeln beschließen und Gesetze, dann erwarten sie, dass diese für alle gleich gelten – ohne Ansehen der Person, d.h. ohne Ansehen des Geschlechts, der Religion, Weltanschauung, Einstellung, Gruppenzugehörigkeit… Je mehr dieses Gerechtigkeitsempfinden verletzt wird, desto größer die dadurch entstehenden gesellschaftlichen Spannungen. Die Entwicklungsdynamik des rechtlichen Lebens ist also Gleichheit.
  • Alle genannten individuellen Impulse, alles was die persönliche Identität ausmacht (Weltanschauung incl. Religion, Werte, Geschlecht…) und was mit anderen Menschen das Wir-Gefühl bildet: all das will jeder Mensch frei ausleben können, und hier wollen sich Gleichgesinnte frei verbinden können. Die Entwicklungsdynamik des geistigen Lebens ist die individuelle Freiheit.
Steiner wies also auf, dass die Begriffe Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit weit mehr sind als bloße Schlagwörter, nämlich die grundlegende Eigendynamik der drei gesellschaftlichen Subsysteme:
  • FREIHEIT im geistigen Leben,
  • GLEICHHEIT im rechtlichen / staatlichen, und
  • BRÜDERLICHKEIT (Sozialität, Kooperation) im wirtschaftlichen Leben.
Man schafft gesellschaftliche Spannungen und Konflikte bis hin zu (Bürger)Kriegen, wenn man diese Eigendynamik ignoriert. Denn man ignoriert damit die gesellschaftlichen Grundbedürfnisse der Menschen, und das nehmen sie nicht hin. Die drei Systeme müssen sich entsprechend ihrer Eigendynamik selbst organisieren können – wie das eben Systeme tun. Das heißt, Die Gesellschaft tendiert aus sich heraus dazu, drei autonome und selbstverwaltete Bereiche auszubilden:
  • ein autonomes Geistesleben – freies Bildungswesen, eine freie Presse, freies Internet, Religionsfreiheit, freie Forschung und Entwicklung…
  • einen autonomen Rechtsstaat – unabhängig von religiösen, ideologischen, nationalen, kulturellen… Einflüssen einerseits, unabhängig von ökonomischen Beeinflussungen (Märkte, insbesondere Finanzmärkte, Konzernmacht, Lobbyismus…) andererseits; sowie
  • ein autonomes Wirtschaftsleben, das sich ohne staatliche Interventionen selbst regulieren kann, wenn alle Marktteilnehmer an den für sie relevanten Entscheidungen beteiligt sind. Dann kann nicht nur das 1% der Mächtigsten, sondern dann können auch die 99% der bislang Ohnmächtigen das für sie Optimale durchsetzen, insbesondere Preise, mit denen alle gut leben können. Diese Rahmenbedingungen muss der Staat zwar erst einmal definieren und dann durchsetzen, aber innerhalb dieser Leitplanken kann das wirtschaftliche Leben sich eigenständig entfalten, ohne dass jemand unter die Räder kommt.

DIE LEHREN AUS T. REX

Wenn man diese drei Entwicklungstendenzen mit dem derzeitigen Status quo vergleicht, dann ist es am erhellendsten, das dort zu tun, wo er ihnen am meisten zuwiderläuft – beim T. Rex der globalen Verhältnisse, Donald T.:
  • T. Rex respektiert in keiner Weise ein freies Geistesleben. Im Gegenteil: Seine Hauptfeinde sind die freien Medien, nach dem Motto "Wer nicht für mich ist, ist gegen mich." Ebensowenig respektiert T. Rex die Forschungsfreiheit. Wenn die Forschung seinen beschränkten Horizont überschreitet bzw. seinen vorgefassten Meinungen widerspricht wie bei der Klimaforschung, dann werden alle Hebel genutzt, um diese Forschung umzulenken oder mundtot zu machen. Ebensowenig respektiert T. Rex die Religionsfreiheit (er hetzt pauschal gegen Muslime), die Freiheit der sexuellen Identität (LGBT…); das Thema T. und Frauen will ich gar nicht erst anschneiden.
  • T. Rex respektiert auch den unabhängigen Rechtsstaat nicht. Stichwort FBI: Über den Hebel des von ihm ernannten Justizministers versucht er, Ermittlungen gegen ihn und ihm Nahestehende zu be-/verhindern; er diffamiert die Behörde wo er nur kann und versucht sie präventiv zu diskreditieren; er ernennt Höchstrichter weil sie ihm gesinnungsverwandt sind; er begnadigt verurteilte Straftäter weil sie ihm gesinnungsverwandt sind, ja: er behauptet sogar, ggf. das Recht zu haben, sich selbst zu begnadigen (!). Des weiteren diskriminiert er Nicht-Heterosexuelle (er verbannt sie aus der Armee), Muslime (pauschales Einreiseverbot für Menschen aus bestimmten Staaten) etc. etc. So wie sein Respekt gegenüber internationalen Vereinbarungen und Organen gleich Null ist: Die vormals gleichberechtigten Partner der Staatengemeinschaft sind für ihn Konkurrenten und Gegner; er hat das Prinzip der Gleichberechtigung durch das Recht des Stärkeren ersetzt.
  • T. Rex respektiert auch kein unabhängiges Wirtschaftsleben. Er betreibt eine radikal merkantilistische Politik der Begünstigung der US-Wirtschaft (kein US-Präsident hatte eine so große Zahl an Milliardären um sich geschart) und erpresst zugleich mit Wirtschaftssanktionen die übrige Welt, um sie zur Unterstützung seiner ökonomischen und politischen Ziele zu zwingen – soweit man bei einer so erratischen und willkürlichen Persönlichkeit überhaupt von "Zielen" sprechen kann.
Die sarkastische Bezeichnung T. Rex – als personifiziertem Prinzip des "Rechts" des Stärkeren – ist also wohl gerechtfertigt. Wer die täglichen Nachrichten verfolgt, kann die Aufzählung im übrigen leicht fortsetzen und wird finden: Alles passt in dieses dreifache Muster.

Auch wenn ich aus meiner tiefen Abneigung T. Rex gegenüber keinen Hehl mache, sehe ich das Problem im großen Ganzen betrachtet nicht bei ihm persönlich. Er ist der brutalste, un-verschämteste Ausdruck des typischen Amerikaners und des Systems, das Typen wie ihn an die Macht kommen lässt – mit verheerenden Folgen für das Weltklima, die Weltwirtschaft, die Weltpolitik, den Weltfrieden… Die Sache hat durchaus ihre persönliche Seite (T.Rex, ideologische Fanatiker wie Bannon, skrupellose Opportunisten, die ihn unterstützen, die Rednecks, die ihn gewählt haben, usw.). Aber Fremdschämen und -schimpfen bringt niemandem etwas. Die eigentliche Frage ist: Welche Lehren können wir für uns aus einem Auswuchs wie T. Rex ziehen?

Wie ich andernorts schon erklärt habe, ist der größte Konstruktionsfehler der Demokratie, dass auch Personen mit unbegrenztem destruktiven Potential demokratisch an die Macht kommen können. Man muss also das System verändern, das so etwas ermöglicht, wenn man dem Ärgsten vorbeugen will. Die wichtigsten Konsequenzen aus T. Rex sind also:

  • Die Autonomie des Geistesleben ist vor politischen (und ökonomischen, ergänze ich vollständigkeitshalber) Einflüssen nachhaltig zu schützen. Keinem Politiker – egal ob man gerade mit seiner Ausrichtung sympathisiert oder nicht! – darf es möglich sein, die Medien direkt (Nordkorea, China, Russland…) oder indirekt (über Postenentscheidungen; vgl. aktuell den ORF) zu manipulieren. Keinem Politiker darf es möglich sein, die Wissenschaft direkt oder indirekt zu beeinflussen. Keinem Politiker darf es möglich sein, sich in religiöse Angelegenheiten einzumischen. Keinem Politiker darf es möglich sein, seine subjektive Einstellung zu religiösen, weltanschaulichen, nationalen, kulturellen, sexuellen… Themen zu Gesetzen zu machen. Keinem Politiker darf es möglich sein, direkt oder indirekt (Posten, Subventionen…) Druck auf kulturelle Einrichtungen auszuüben. Und insbesondere darf es keinem Politiker möglich sein, die Folgegeneration nach seinem Gutdünken durch die Beeinflussung des Bildungssystems so zu prägen, wie ihm das gut und richtig erscheint.
  • Die Autonomie des Wirtschaftslebens ist vor politischen Einflüssen nachhaltig zu schützen. Wer A sagt, muss auch B sagen: Wer Protektionismus, Wirtschaftssanktionen und wirtschaftspolitische Erpressung für falsch hält, muss konsequenterweise auch den Schluss ziehen: Es reicht nicht, darauf zu hoffen, dass nicht die Falschen an die Macht kommen. So ist das System nicht resilient. Man muss den Schluss ziehen: Keinem Politiker dürfen protektionistische Maßnahmen möglich sein. Keinem Politiker dürfen Wirtschafsstanktionen möglich sein, gleich gegen wen. Keinem Politiker darf eine politische Instrumentalisierung des Wirtschaftslebens möglich sein. Kurz, dem Staat darf keinerlei Wirtschaftspolitik möglich sein. Das wirtschaftliche Leben muss sich – im Rahmen der prinzipiellen, vom Staat vorgegebenen Spielregeln (z.B. Nachhaltigkeit, Gemeinwohl, Multistakeholder-Preisbildung, Vorsorgeprinzip…) – autonom organisieren und verwalten können. Diese fundamentalen Existenzgrundlagen der Menschheit und der Erde dürfen nicht politischer Willkür ausgeliefert werden, auch wenn sich die politische Macht formal demokratisch legitimieren kann. Man darf das Überleben der Menschheit und der Erde nicht in die Hände eines T. Rex legen!
  • Eine bekannte Weisheit lautet: "Power tends to corrupt and absolute power corrupts absolutely" (Lord Acton). Daraus ist der naheliegende Umkehrschluss zu ziehen: Nur wer keine Macht hat, kann nicht von ihr korrumpiert werden und kann sie nicht missbrauchen. Jede Regierung ist institutionalisierte Macht. Wer politische Fehlentscheidungen bis zur Ausrottung der Menschheit und Vernichtung der Erde nachhaltig verhindern will, darf keiner Regierung die Macht dazu einräumen. Die Institution "Regierung" wird damit obsolet. Auch die politischen Parteien etwa tendieren aus ihrer eigenen Systemdynamik zu Macht, und so korrumpieren sie auch, wer Teil dieses Systems wird (vgl. diesen Beitrag). Sie sind nicht mehr Teil der Lösung wie früher; sie sind Teil des Problems geworden. Wenn das geistige und das wirtschaftliche Leben durch verfassungsmäßige Vorgaben so strukturiert sind, dass sie autonom zum Besten der größtmöglichen Zahl arbeiten können (s.o.), dann bleiben den staatlichen Institutionen nur legislative und exekutive Aufgaben. Dann haben sie keine Möglichkeit einer grundlegenden Ausrichtung und Gestaltung der Gesellschaft entsprechend der jeweiligen politischen Ideologie der jeweils herrschenden Partei und ihrer jeweils herrschenden Repräsentanten; dann sind sie sozusagen das operative Management des Rechtsstaats. Dessen normative, verfassungsmäßige Grundlagen kann das Volk in Grundsatzdiskussionen klären (vgl. z.B. die Bürgerversammlungen betr. gleichgeschlechtlicher Ehe oder Abtreibung in Irland) und entscheiden. Fehlentscheidungen eingeschlossen; das ist das Risiko. Es ist aber geringer als das, von T. Rex in einen Wirtschafts- oder Atomkrieg gezogen zu werden. – Ein autonomer Rechtsstaat ist aber keineswegs ein ohnmächtiger; im Gegenteil. Wenn der Staat in keiner Weise durch ein Naheverhältnis zu Konzernen (Stichwort Abgasskandal) oder Finanzmärkten (Stichwort Finanzkrise / Bankenrettung, Facebook / Datenskandal, Monopol-Konzerne…) korrumpiert ist, kann er ihnen unvoreingenommen die Regeln vorgeben, nach denen sie zu spielen haben. Er ist dann in dieser Hinsicht mächtiger als je zuvor. Dasselbe gilt für religiöse und nationalistische Kräfte, die gern ihre persönlichen Vorlieben zur allgemeinen Vorschrift machen würden. Sie haben keine Möglichkeit, direkt oder indirekt politische Macht zu erlangen und ihren Gesinnungsterror auszuüben. Sie haben ihre Freiheit auf ihrer vom Staat umgrenzten Spielwiese, wo sie sich nach den vom Staat vorgegebenen Regeln tummeln können. Aber keinen Schritt außerhalb, und schon gar nicht nach Regeln, die ihnen ihr Gott oder ihre höhere Mission eingeflüstert haben.
  • Es ist allerhöchste Zeit, die drei gesellschaftlichen Systeme ihre jeweilige Eigendynamik entfalten zu lassen: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

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    By Hanspeter Rosenlechner