DIE LIZENZ ZUM FOLTERN (2)

DIE LIZENZ ZUM FOLTERN (2)
"Der Nationale Sicherheitsberater der US-Regierung, John Bolton, hat den Internationalen Strafgerichtshof scharf angegriffen und als illegitim und “geradezu gefährlich” bezeichnet. Die USA würden den Strafgerichtshof nicht unterstützen, nicht mit ihm kooperieren und ihm nicht beitreten, sagte Bolton. Die Befürwortung des Gerichts durch die Staaten der Europäischen Union bezeichnete er als “Dogma”. “Wir lassen den Internationalen Strafgerichtshof sterben”, sagte Bolton. Er bedeute einen Eingriff in die staatliche Souveränität der USA.
Der als erzkonservativ bekannte Sicherheitsberater reagierte damit auf ein Ermittlungsersuchen der Chefanklägerin beim Strafgerichtshof in Den Haag gegen Mitglieder der US-Streitkräfte sowie der US-Geheimdienste wegen möglicher Kriegsverbrechen in Afghanistan. “Jeden Tag könnte der ICC die formellen Ermittlungen gegen amerikanische Patrioten ankündigen, die freiwillig ihr Leben riskierten, um unsere Nation, unsere Heimat und unsere Familien nach den Angriffen vom 11. September zu schützen”, sagte Bolton, der als Vertrauter von US-Präsident Trump gilt.
Sollten Ermittlungen eingeleitet werden, würden sich die USA wehren, ergänzte Bolton. Dann könnten Richter und Ermittler des ICC etwa ein Einreiseverbot in die USA erhalten. Zudem könnten sie vor ein US-Gericht gestellt werden. […]
SZ Online, 10.9.2018

Zur Erinnerung: Die USA zählen mit Israel, Russland und Sudan zu jenem Staaten-Quartett, das die Statuten des Internationalen Strafgerichtshofs bis heute nicht ratifiziert hat.

Q.E.D.: DIE LIZENZ ZUM FOLTERN, TÖTEN…

Wie schon die vehemente Reaktion Saudi Arabiens auf die Kritik aus Kanada belegt die Aussage Boltons, dass sich Politiker immer dann auf die Souveränität ihres Staates berufen, wenn sie ungestört und ungestraft die Grundrechte von Menschen mit Füßen treten wollen. Man braucht also nicht auf die „üblichen Verdächtigen” (Saudi Arabien, Russland, Weißrussland, Iran, Türkei, Ungarn…) zu schielen. Wer sich mit anderen Staaten in einem Grundrechts-Konsens weiß, hat keine Veranlassung, auf Souveränität zu pochen. Nur wer Menschenrechte verletzen will, ohne dafür zur Rechnung gezogen zu werden lehnt eine übergeordnete Rechtsinstanz ab, die ihn dafür vor den Kadi bringen würde. Der Souveränitätsanspruch dient allen Despoten, die unbehelligt von Interventionen der „Staatengemeinschaft” grundlegende Verfassungs- und Menschenrechte verletzen wollen zur Selbstimmunisierung. Damit kann jeder Despot Einspruch von außen als „Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates” abweisen. Diese Phrase ist ein untrügliches Erkennungsmerkmal für Despoten mit Drang zum Bombardieren, Wegsperren, Foltern…

Bolton stellt sich schützend vor seine folternden Soldaten, also vor US-Bürger. Doch der Internationale Strafgerichtshof versucht auch Despoten zur Rechenschaft zu ziehen, die ihr eigenes Volk unterdrücken und foltern oder internationales Recht "zuhause" verletzen (Asylrecht z.B.). Für diese Völker ist ein internationales Recht, das über der Staatssouveränität steht die einzige Möglichkeit, sich vor ihren eigenen Herrschern zu schützen. Alleine sind sie dazu nicht in der Lage. Nur das Völkerrecht bietet eine international anerkannte Legitimation für Druck und Interventionen von außen.

Das Völkerrecht lebt nur in dem Maße, als sich Staaten ihm unterwerfen und damit auf einen Teil ihrer Souveränität verzichten. Regierungen beharren meist nach wie vor auf der Staatssouveränität. Das ist verständlich: Sie sind Teil des andernorts beschriebenen, selbstreferenziellen Macht-Systems, für das jeder Machtverlust systemgefährdend ist. Aber wenngleich ein teilweiser Souveränitätsverzicht nicht im Interesse von Regierungen ist, so ist er doch im vitalen Interesse der Bürger. Denn wendet sich eine Regierung gegen sie, gibt es nichts und niemanden, der ihnen sonst beistehen könnte als externe Mächte, die das Völkerrecht zu schützen und zu verteidigen versuchen.

NATIONALSTAAT ODER VÖLKERRECHT

Der Impuls zum Völkerrecht kam ja nicht aus blauem Himmel und weil Juristen gerade nichts Wichtigeres zu tun hatten. Es sollte die schlimmsten Auswirkungen der Weltkriege eindämmen (jeweils nachdem sie geschehen waren). Begriffe wie „Kriegsverbrechen”, „Verbrechen gegen die Menschlichkeit”, „Genozid” usw. drücken die Einsicht aus: Wir brauchen ein Recht, das über nationalem Recht steht, wenn dieses zu Unrecht entartet. Wenn Recht zu Unrecht wird, muss Völkerrecht dem Schranken setzen. Internationales Recht erklärt zu einem Unrecht, was Herrscher als "Recht" bezeichnen. Es ist eine Legislative, Exekutive und Judikative oberhalb der nationalen Souveränität. Dieser Souveränitätsverzicht liegt im ureigensten Interesse der Bürger. Bei den innerstaatlichen Gesetzen ist das nicht anders: Auch sie sind ja eine Vereinbarung der Bürger, auf einen Teil ihrer Souveränität zu verzichten um des „größeren Gutes” Willen – Sicherheit und Gerechtigkeit.

Der französische Völkerrechtler Georges Scelle (1878-1961) hat darauf hingewiesen, dass das Konzept eines souveränen Staates mit einer internationalen Rechtsordnung unvereinbar ist:

  • Entweder es gibt ein internationale gültiges und einklagbares Recht, dann steht dieses über dem innerstaatlichen Recht, und der Staat ist nicht souverän;
  • oder es gibt souveräne Staaten, dann brauchen sie aber auch kein über ihnen stehendes internationales Recht anzuerkennen (Völkerrecht, Menschenrechte, Genfer Konvention…).

An diesem Widerspruch scheitert ja auch die UNO mit trauriger Regelmäßigkeit: Einerseits blockieren z.B. die USA, Russland, China… mit atemberaubender Kaltschnäuzigkeit jede Resolution, die zum Nachteil ihrer „Schützlinge” (Israel, Syrien…) wäre. Aber davon abgesehen, jeder regierende Völkermörder kann sich auf das Souveränitäts-Prinzip berufen und alle UNO-Resolutionen ungerührt an sich abperlen lassen. Dasselbe gilt für den internationalen Strafgerichtshof: Auch er hat nur insoweit eine reale Macht als die Staaten einen Teil ihrer Souveränität für das größeres Gut der Gerechtigkeit im Rahmen einer internationalen Grundrechtsordnung aufgeben. Das Konzept des souveränen Nationalstaats kollidiert also unausweichlich mit jedem Versuch, internationales Recht zu installieren.

SOUVERÄNITÄTSVERZICHT IST SELBSTSCHUTZ

Wenn die Bürger eines Staates in souveräner Willensbildung innerstaatliche Regeln und Gesetze schaffen, sowie Einrichtungen zu ihrer Um- und Durchsetzung, dann schaffen sie dadurch Instanzen, die ihrer Souveränität in bestimmten Bereichen übergeordnet sind. Sie anerkennen und unterwerfen sich in diesen Bereichen der von ihnen geschaffenen Legislative, Exekutive und Judikative. Sie anerkennen das staatliche Gewaltmonopol zur Durchsetzung des Rechts und verzichten auf Selbstjustiz. Es ist ein freiwilliger, partieller und temporärer Souveränitätsverzicht zugunsten der Staatsmacht.

Was sich beim innerstaatlichen Recht "im Kleinen" abspielt, wiederholt sich „im Großen” beim Völkerrecht: Dass ein solches geschaffen, um- und durchgesetzt werden kann, setzt einen Souveränitätsverzicht derjenigen Staaten voraus, die sich den von ihnen geschaffenen Strukturen freiwillig unterwerfen. Ohne diesen Souveränitätsverzicht ist internationales Recht nicht möglich. Doch wie man sieht, ist es unverzichtbar; darum hat es sich auch im 20. Jahrhundert so weit durchgesetzt. Seine Judikative, der Internationale Strafgerichtshof wurde überhaupt erst 1998 mit dem Römischen Statut installiert, das sich wiegesagt die USA, Israel, Russland und Sudan nach wie vor zu ratifizieren weigern. Bolton kennt die Gründe, Trump ebenso – und der Rest der Welt auch.

SOUVERÄNITÄTSVERZICHT, BEVOR ES ZU SPÄT IST

Umso notwendiger ist es, die staatliche Souveränität durch eine internationale Legislative, Exekutive und Judikative zu überwinden. Die Bürger der Demokratien sollten von ihren Regierungen unnachgiebig einfordern, dass sie die nationale Souveränität aufgeben und ihre nationale Justiz dem Internationalen Strafgerichtshof unterordnen. Die Bürger können hoffen, dass sie niemals brauchen werden, dass sie nie in die Situation geraten werden, wo eine autoritäre Regierung ihre Grundrechte missachtet. Aber die Entwicklung in Ungarn z.B. hat gezeigt, wie schnell sich eine demokratisch gewählte Regierung über internationale Vereinbarungen und Menschenrechte hinwegsetzt, wenn es ihr opportun erscheint. Dort hat sich das Zeitfenster für Initiativen zum Souveränitätsverzicht bereits geschlossen. Solche Initiativen müssen in die Wege geleitet werden bevor autoritäre Regime an die Macht kommen, und sei es demokratisch legitimiert. So lange eine derartige Initiative euch vielleicht wichtig, aber nicht dringend erscheint, ist sie das umso mehr! Denn wenn ein Staat erst auf autoritäre Bahnen geraten und ihre Dringlichkeit offensichtlich ist, ist es zu spät.


NB: Dieser Artikel ist ein gekürztes und überarbeitetes Kapitel aus FGB.

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ZUR VERTEIDIGUNG DES RECHTSSTAATS

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Am 19. Februar 2025 haben sechs Bürgerrechtsorganisationen eine gemeinsame Erklärung zur anstehenden Bundestagswahl veröffentlicht: "Gegen die Angriffe auf den demokratischen Rechtsstaat!" Die dort geäußerten Sorgen um die Rechtsstaatlichkeit teile ich ohne Einschränkung: die Infragestellung der Grund-/Menschenrechte, martialische Law-and-Order-Forderungen, exekutiven Ungehorsam (also die Strategie, Gerichtsentscheide schlicht zu ignorieren)

By Hanspeter Rosenlechner