UMFÄRBUNG, DER TRAGÖDIE DRITTER TEIL: NUN SIND DIE HÖCHSTRICHTER DRAN

Von Schwarz-Blau auf Rot, von Rot auf Schwarz-Blau, dann wieder rückwärts…: Wie bei jedem Regierungswechsel wird von der neuen Regierung nach Kräften umgefärbt. Nach ORF und Verbund ist jetzt der Verfassungsgerichtshof dran. Die Parteigänger einen Seite, die von der vorigen Regierung auf ihren Posten gehievt wurden müssen nun gehen und werden durch Parteigänger der anderen ersetzt. Ich habe das vorige Woche schon am Beispiel ORF kritisiert, gestern am Beispiel Verbund. Ich habe deutlich zu machen versucht, wo das eigentliche Problem dabei liegt. Um die Gültigkeit meiner dort geäußerten Argumente zu unterstreichen, habe ich diese Artikel nun nur kopiert und unten eingefügt. Geändert wurde im ersten Teil kaum etwas, im weiteren habe ich den Inhalt entsprechend adaptiert.
PROPORZ: DIE SANFTE KORRUPTION
Gerade in Österreich ist es ein tief verwurzelter Teil des kollektiven Unterbewussten, dass es normal ist, dass sich die Parteien und die ihnen nahestehenden Interessensverbände sich wie Pilzsporen überall im öffentlichen Leben einnisten. Und wo sie einmal Wurzeln geschlagen haben, breiten sie ihren Einfluss unermüdlich aus bis sie alles kontrollieren. Je höher und damit einflussreicher ein Posten, desto größeres Gewicht wird darauf gelegt, dass er von einem Parteisoldaten besetzt wird, der seinen Aufstieg mit Gefügigkeit bezahlt (andernfalls seine Karriere ein jähes Ende findet). Und alle — Beteiligte wie Bürger — sind zufrieden weil das ja nach Proporz geschieht: Die Posten werden entsprechend dem aktuellen politischen Kräfteverhältnis an Parteigänger vergeben. Also ist alles ganz demokratisch und völlig in Ordnung. Weiter mit der Tagesordnung. (Dieses Prinzip der sanften Korruption ist überall auf der Welt dasselbe, nur wird es nicht auch noch mit einem eigenen Begriff quasi legitimiert.)
Nur selten regt sich Widerstand dagegen, meist bei den großen Umfärbungen nach den Wahlen. Die letzte ÖVP-FPÖ-Koalition (Schüssel/Haider) hat sich nicht nur durch eine nie dagewesene Korruption ausgezeichnet, die die Gerichte bis heute beschäftigt. Sie hat auch die Republik mit bis dato einzigartigen Unverschämtheit und Brutalität umgefärbt. Dann kam Rot – und das Ruder bei der Umfärbung wurde wieder nach links gelegt. Und genauso werden nun von der derzeitigen ÖVP-FPÖ-Regierung alle besonders relevanten und hochdotierten Posten wieder an die eigenen Parteisoldaten übertragen.
Das Geschrei erhebt sich im Grunde aber nicht gegen dieses System der sanften Korruption, sondern nur gegen ihren Richtungswechsel: SPÖ-Sympathisanten, die sich bei der seinerzeitigen Besetzung der Posten durch SPÖ-nahe Personen schön still gehalten haben schreien jetzt Ach und Weh, während die türkis-blauen Sympathisanten, die bis vor kurzem noch wütend gegen dieses System gepoltert haben und versprachen, diesen Saustall auszumisten sich nun darin breitmachen und sich zufrieden die Hände reiben. Und beim nächsten Regierungswechsel werden die Rollen wieder umgekehrt sein.
DAS SYSTEM IST DAS PROBLEM. DESHALB KANN DIE LÖSUNG NUR IN EINER SYSTEMÄNDERUNG LIEGEN.
Es ist wie immer: Die Personen wechseln, das System bleibt das gleiche. Darum sollte langsam klar werden, dass nicht die Personen und Parteien das eigentlich Problematische sind: Das System ist das Problem.
Interessant ist, dass zwar alle sich beschweren, wenn sie zeitweilig nicht die Nutznießer, sondern die Benachteiligten dieses Systems sind, aber dass keiner das System selbst verändern will. Weil alle davon profitieren. Nicht zur selben Zeit, aber abwechselnd. Deshalb sagt man, es funktioniert. Es ist systemische Korrumpierung, aber sie funktioniert— für ihre Nutznießer. Also wird lautstark gejammert, aber niemand stellt das System an sich in Frage. Das Grundübel heißt staatlicher Einfluss auf das Geistes- und Wirtschaftsleben. So lange nicht erkannt wird, dass dort der staatliche Einfluss nicht bloß dann verwerflich ist, wenn nicht die „eigenen Leute“ schalten und walten können, sondern grundsätzlich: so lange wird sich an dieser systemischen Korrumpierung dieser Gesellschaftsbereiche durch den Staat nichts ändern.
Scheinlösungen gibt es zuhauf, aber die lindern nur die Symptome des Grundübels. Die einzige grundlegende Lösung heißt völlige Autonomie aller Einrichtungen des geistigen und wirtschaftlichen Lebens von politischen Einflüssen.
Wenn nun gegen die Umklammerung des ORF, des Verbunds, des Verfassungsgerichtshofs (und was alles noch kommen wird) durch die aktuelle Regierung protestiert wird, so muss eigentlich darüber nachgedacht werden, wie sie vor der Manipulation durch jede Regierung bewahrt werden können. Die Lösung ist nicht, dass schön proporzmäßig ein Gleichgewicht zwischen Linken und Rechten herrscht! Das wäre so als ob man in Italien zufrieden wäre, wenn im Staatsapparat ein Gleichgewicht der Korruption durch Camorra und ’Ndrangheta herrschte. Ein Gleichgewicht zwischen zwei Übeln ergibt noch lange nichts Gutes! Die einzige grundlegende Lösung sind Strukturen, die es allen politischen Kräften verunmöglichen, finanziell, inhaltlich und personell Einfluss auf den ORF, den Verbund, den VfG… zu nehmen.
- Es braucht ein zweites Rundfunkvolksbegehren, das den Proporz im ORF nicht nur auf dem Papier abschafft;
- es braucht eine Reform des Verstaatlichtengesetzes, das in staatseigenen oder staatsnahen Unternehmen mit jeglichem politischen Einfluss bis ins letzte aufräumt;
- und es braucht eine Verfassungsreform, die die Richter — inbesondere die Höchstrichter — jeglichem politischen Einfluss entzieht. Und das nicht nur weitgehend, mit entsprechenden Hintertüren für mehr oder weniger subtile politische Manipulation, sondern hundertprozentig.
POLITISCHE GRUNDSATZENTSCHEIDUNGEN SIND BÜRGERSACHE, RES PUBLICA
Solche Einflüsse sind nicht nachweisbar, wenn sie indirekt passieren – über Führungskräfte, die ihre Karriere bestimmten Parteien verdanken und sich mit der von ihnen erwarteten Loyalität bei ihnen revanchieren. Daher nimmt das Postenkarussell nach jeder Veränderung der Stimmenverhältnisse durch eine Wahl wieder Fahrt auf. Und daher kann man hier bzgl. grundlegender Lösungen nicht auf diejenigen zählen, die von diesem System abwechselnd profitieren : auf die Politiker, gleich welcher Couleur. Es braucht allein aus diesem Grund schon ein Volksbegehren.
Wegen der aktuellen Volksbegehren wird in Österreich und in der Schweiz gerade wieder heftig diskutiert, ob Volksentscheide nicht die falschen Mittel sind, um den Regierungskurs zu beeinflussen. Repräsentative Demokratie, so die Kritiker, bedeute eben, die gewählte Regierung arbeiten zu lassen. Dahinter steckt oft der Verdacht, dass die Bürger zu wenig informiert oder schlicht zu blöd seien, um so komplizierte Dinge beurteilen zu können. Darum sollen sie ihre gewählten Vertreter arbeiten lassen und sich nicht in Dinge einmischen, von denen sie nichts verständen. — So explizit kommt die Kritik an direkt-demokratischen Verfahren i.d.R. nicht daher, aber es ist zwischen den Zeilen zu lesen. Und so ganz unberechtigt ist sie nicht. Beurteilen kann ich nur, wovon ich etwas verstehe. Also sollte ich nicht überall dort mitreden können, wovon ich nichts verstehe.
Aber das gilt nicht für das, was ich hier vorschlage. Dafür bedarf keiner überragenden Intelligenz und auch keines besonderen Wissens. Denn das Prinzip ist ganz einfach: Der Staat hat sich nur um seine eigenen Sachen zu kümmern — darum, die Rahmenbedingungen und Spielregeln für die verschiedenen Gesellschaftsbereiche zu definieren (Legislative) und sie durchzusetzen (Exekutive). Wie wichtig auch eine vom Staat unabhängige Judikative für die Demokratie ist, sieht man dzt. in Ungarn, Polen, in den USA…, wo die Höchstgerichte gerade umgefärbt werden. Und das nicht von ungefähr, denn die Verfassungsgerichte sind die Bastion der Rechtsstaatlichkeit schlechthin. Sie sind die höchste Instanz, die auch Politiker in die Schranken weisen, zur Rechenschaft ziehen und ihres Amtes entheben kann, wenn alle anderen demokratischen Mechanismen versagen. Gerichte, insbesondere Höchstgerichte müssen absolut unabhängig von allen staatlichen Einflüssen sein, egal ob von rechts oder links oder sonstwo. Das sollte so selbstverständlich sein wie dass sie nicht käuflich sind. Je mehr politische (oder pekuniäre) Manipulation, desto korrumpierter die Judikative. Je weniger Einflussmöglichkeiten von außen, desto mehr Rechtsstaatlichkeit.
Um das als richtig und notwendig einzusehen, reicht der Hausverstand. Dafür braucht es kein Jus-Studium oder sonst irgendeines. Das kann jeder mündige Bürger verstehen und entscheiden. Es ist eine gesellschaftliche Grundsatzfrage. Grundsatzfragen wie Rechtsstaatlichkeit, Liberalität, Pluralität, Humanität… dürfen nicht wechselnden politischen Interventionen ausgesetzt sein — bis dahin, dass sie unter dem Deckmantel demokratischer Legitimierung ausgehöhlt und abgeschafft werden wie dzt. in Polen und Ungarn. Sind sie wechselnden politischen Mehrheiten ausgeliefert, sind sie nicht robust. Darum müssen solche Grundsatzentscheidungen dem Souverän vorbehalten sein — den Bürgern. Gesellschaftliche Grundsatzentscheidungen sind die Bürgersache schlechthin — res publica. Und das Entscheidungsinstrument der Republik ist der Bürgerentscheid.
Um die absolute politische Unabhängigkeit robust zu verankern ist eine „Gesamtänderung der Bundesverfassung“ notwendig. Denn „normale“ Gesetze können jederzeit wieder mit der nötigen Parlamentsmehrheit verändert werden. Eine entsprechende Mehrheit im Parlament (mit dem Fraktionszwang als i-Tüpfelchen!) kann sogar wie 1933 die Demokratie abschaffen. Demokratisch formal völlig korrekt (vgl. meinen diesbezüglichen Beitrag). In einer Demokratie darf die Regierung ihre Spielregeln nicht selbst definieren oder verändern können. Eine Gesamtänderung der Bundesverfassung bedarf im Gegensatz zu gewöhnlichen Gesetzen nicht nur einer Zweidrittelmehrheit im Parlament, sondern auch einer Volksabstimmung. Und damit ist die Verfassung jeder politischen Sabotage entzogen. Wenn die Fundamente des gesellschaftlichen Zusammenlebens durch einen Volksentscheid in Verfassungsrang erhoben werden, sind sie nachhaltig gesichert.
[Diese in kürzeren Abständen erscheinenden Beiträge setzen sich mosaikartig zu einem neuen Gesamtgesellschaftsmodell zusammen. Dieses entwickelt sich, wenn es nicht daran gehindert wird, überall und jederzeit aus den jetzigen Verhältnissen. Der eigentlicher Sinn und Zweck dieser Essays ist also ihre konkrete Umsetzung — im Kleinen wie im Großen. Dafür müssen sie weiter verbreitet werden. Vielen Dank dafür im Voraus!]