UNSER MANN IN BERLIN

FRIEDRICH MERZ ALS SYMPTOM
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte kaum ihren Rückzug als CDU-Vorsitzende bekanntgegeben, als sich auch schon ihre Nachfolger in spe dafür in Stellung brachten, unter ihnen Friedrich Merz. Friedrich Merz? Wem der Herr bislang kein Begriff ist, einige Informationen u.a. nach Wikipedia:
- "Reformer des Jahres“ 2004. (Dabei werden jährlich Personen ausgezeichnet, die sich in besonderer Weise für „marktwirtschaftliche [d.h. liberalisierende] Reformen“ in Deutschland eingesetzt haben.
- Frühere Aufsichts-/Verwalrungsratsposten: AXA Konzern AG, DBV-Winterthur Holding AG, Deutsche Börse AG, IVG Immobilien AG, Borussia Dortmund, Commerzbank AG, BASF Antwerpen N. V.
- Derzeitige Aufsichtsrats-/Verwaltungsratsposten: WEPA Industrieholding SE, HSBC Trinkaus & Burkhardt Stadler Rail AG, Köln/Bonner Flughafen. Seit März 2016 Aufsichtsratschef (active chairman) und Lobbyist für den deutschen Ableger des weltweit größten Vermögensverwalters BlackRock (Investitionsvolumen: 6 Billionen (!) Dollar).
- Vorsitzender der Atlantik-Brücke, einer Organisation mit dem Ziel, wirtschafts-, finanz-, bildungs- und militärpolitische Brücken zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland zu schlagen.
- Mitglied der Denkfabrik der Trilateralen Kommission. Diese dient lt. dem US-Politologen Stephen Gill einer "Allianz zwischen den größten kapitalistischen Staaten mit dem Ziel, eine stabile Form der Weltordnung voranzutreiben (oder zu erhalten), die ihren dominanten [wirtschaftsliberalen; Anm. HpR] Interessen entspricht."
- Gründungsmitglied der von Arbeitgeberverbänden getragenen Denkfabrik Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Nach Eigenaussage vertritt die INSM folgende Ziele: "Wir wollen die Soziale Marktwirtschaft an die aktuellen Herausforderungen der Globalisierung, des demografischen Wandels und die Wissensgesellschaft anpassen. Die Soziale Marktwirtschaft hat sich über Jahrzehnte bewährt – doch auch erfolgreiche Konzepte müssen fortlaufend auf ihre Zukunftsfestigkeit überprüft und modernisiert werden. Daraus ergibt sich für uns dringender Reformbedarf in folgenden Politikfeldern: Arbeitsmarktpolitik, Wirtschaftspolitik, Umwelt- und Energiepolitik, Sozialpolitik und Bildungspolitik.“ – Die INSM ist bestrebt, durch Lobbying "ihre ordnungspolitischen Botschaften bei Entscheidern und in der Bevölkerung zu verankern. In der Bevölkerung soll die Bereitschaft für wirtschaftsliberale Reformen erhöht werden, ein unternehmensfreundliches Klima erzeugt werden und Eigenverantwortung, Wettbewerb und unternehmerische Freiheit als positive Werte betont werden."
Merz ist also durch und durch Lobbyist, so bis ins Mark, wie man das nur sein kann. Das Lobbying ist Fleisch geworden, und es hat unter uns gewohnt – als Friedrich Merz. Wenn seine Pläne aufgehen, wird er sein in Jahrzehnten aufgebautes Netzwerk an Kontakten zu wirtschaftlichen und politischen Eliten wohl auch künftig nutzen wie bisher, zuerst als CDU-Generalsekretär und in logischer Folge als Bundeskanzler. Sollte Merz seine politische Karriere fortsetzen, wird er all die genannten Aufgaben zurücklegen. Seine künftige Aktivität wird dennoch den Stempel seiner tiefen Grundüberzeugung tragen: "Geht's der Wirtschaft gut, geht's den Menschen gut."
Wie er das versteht, zeigen seine bisherigen Initiativen. Merz war seit jeher Teil des wirtschaftsliberalen Flügels der CDU. "Er setzte sich für verschiedene Deregulierungen und Privatisierungen ein. Weiter plädierte er für Kürzungen von Sozialleistungen und befürwortete Gentechnologie und Kernkraft. Er trat für eine Begrenzung des Sozialstaats ein, für eine Vollbesteuerung der Beamtenrente, für ein Renteneintrittsalter von 70 Jahren, für die Abschaffung des Kündigungsschutzes… Als er seine Einkünfte aus Nebentätigkeiten (s.o.) offenlegen sollte, klagte er dagegen – und verlor. Er war es, der im Jahr 2000 den Begriff der "deutschen Leitkultur" ins Gespräch brachte und von Muslimen forderte, sie müssten „unsere Sitten, Gebräuche und Gewohnheiten akzeptieren“. Im Jahr 2010 zählte er zu den 40 prominenten Unterzeichnern des "Energiepolitischen Appells", einer Lobbyinitiative von vier großen europäischen – allesamt Kernkraftwerke betreibenden – Stromkonzernen, der die Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke voranbringen sollte. Im Juni 2011 warnte er vor einer zu schnellen Energiewende.
MERZ ALS SYMPTOM…
Friedrich Merz ist mehr als ein – zugegeben, extremes – Beispiel. Er ist ein Symptom. Er ist ein 1. ein Symptom der völligen Auflösung der Grenze zwischen Wirtschaft und Politik. Und er ist 2. ein Symptom der Gewichts-, also Machtverschiebung von der Politik zur Wirtschaft. Merz ist ein Überzeugungstäter. Er glaubt wirklich an das, was er tut. Er ist der festen Überzeugung, so das Beste für Deutschland zu erreichen. Was ihn umso gefährlicher macht: "Far more dangerous than the crimes of passion are the crimes of idealism" (A.Huxley).
Merz ist ein Symptom des Drehtür-Prinzips, des Wechsels von der Politik in die Wirtschaft…
Ein Vorteil für die Unternehmen ist oftmals auch das interne Wissen über politische Abläufe, welches die neuen Mitarbeiter mitbringen. Insbesondere dann, wenn die Ziele des Unternehmens den Zielen der (ehemaligen) Partei entgegenstehen." (Wikipedia)
…und vice versa, wie bei Merz. Was jene Auflösung der Grenze zwischen Wirtschaft und Politik und die Machtverschiebung konkret bedeutet, zeichnet sich in der obigen Auflistung ab: Die Konzerne versuchen die Politik dahingehend zu beeinflussen, dass sie deregulieren, privatisieren, Sozialleistungen kürzen, Gentechnologie und Kernenergie forcieren, den Kündigungsschutz abschaffen, das Rentenalter erhöhen… Das ist Neoliberalismus in Reinform. Sollte Merz auch noch Kanzler werden, wird das – soweit es irgendwie demokratisch durchsetzbar ist – Regierungsprogramm der größten Industriemacht Europas. Dann können die Konzerne sagen: Das ist unser Mann in Berlin.
PS: In der gestrigen Erstfassung habe ich – auf einem SPIEGEL-Artikel aufbauend – noch geschrieben, man wäre bei BlackRock nun sauer auf Merz, und eine Rückkehr zu dem Konzern sei ausgeschlossen. Das wurde vom CEO, Larry Fink, inzwischen dementiert: "Blackrock und Friedrich Merz pflegen weiterhin eine hervorragende Beziehung. Er bleibt Aufsichtsratsvorsitzender von Blackrock in Deutschland. Wenn er nicht Vorsitzender der CDU wird, würden wir es sehr begrüßen, wenn er weiterhin mit Blackrock zusammenarbeitet."