UMFÄRBUNG, DER TRAGÖDIE ZWEITER TEIL

Es geht Zug um Zug: Wie bei jedem Regierungswechsel wird von der neuen Regierung nach Kräften umgefärbt. Der nächste Kandidat ist nun der Verbund. Die Parteigänger der Linken, die von der vorigen Regierung auf ihren Posten gehievt wurden müssen nun gehen und werden durch Parteigänger der Rechten ersetzt. Ich habe das vorige Woche schon anhand des ORF kritisiert und deutlich zu machen versucht, wo das eigentliche Problem dabei liegt. Um die Gültigkeit meiner dort geäußerten Argumente zu unterstreichen, habe ich diesen Artikel nun nur kopiert und unten eingefügt. Geändert wurde im ersten Teil so gut wie nichts, im weiteren habe ich den Inhalt entsprechend adaptiert.
PROPORZ: DIE SANFTE KORRUPTION
Gerade in Österreich ist es ein tief verwurzelter Teil des kollektiven Unterbewussten, dass es normal ist, dass sich die Parteien und die ihnen nahestehenden Interessensverbände sich wie Pilzsporen überall im öffentlichen Leben einnisten. Und wo sie einmal Wurzeln geschlagen haben, breiten sie ihren Einfluss unermüdlich aus bis sie alles kontrollieren. Je höher und damit einflussreicher ein Posten, desto größeres Gewicht wird darauf gelegt, dass er von einem Parteisoldaten besetzt wird, der seinen Aufstieg mit Loyalität bezahlt (andernfalls seine Karriere ein jähes Ende findet). Und alle — Beteiligte wie Bürger — sind zufrieden weil das ja nach Proporz geschieht: Die Posten werden entsprechend dem aktuellen politischen Kräfteverhältnis an Parteigänger vergeben. Also ist alles ganz demokratisch und völlig in Ordnung. Weiter mit der Tagesordnung. (Dieses Prinzip der sanften Korruption ist überall auf der Welt dasselbe, nur wird es nicht auch noch mit einem eigenen Begriff quasi legitimiert.)
Nur selten regt sich Widerstand dagegen, meist bei den großen Umfärbungen nach den Wahlen. Die letzte ÖVP-FPÖ-Koalition (Schüssel/Haider) hat sich nicht nur durch eine nie dagewesene Korruption ausgezeichnet, die die Gerichte bis heute beschäftigt. Sie hat auch die Republik mit bis dato einzigartigen Unverschämtheit und Brutalität umgefärbt. Dann kam Rot — und das Ruder bei der Umfärbung wurde wieder nach links gelegt. Und genauso werden nun von der derzeitigen ÖVP-FPÖ-Regierung alle besonders relevanten und hochdotierten Posten wieder an die eigenen Parteisoldaten übertragen.
Das Geschrei erhebt sich im Grunde aber nicht gegen dieses System der sanften Korruption, sondern nur gegen den Richtungswechsel: SPÖ-Sympathisanten, die sich bei der seinerzeitigen Besetzung der Posten durch SPÖ-nahe Personen schön still gehalten haben schreien jetzt Ach und Weh, während die türkis-blauen Sympathisanten, die bis vor kurzem noch wütend gegen dieses System gepoltert haben und versprachen, diesen Saustall auszumisten sich nun darin breitmachen und sich zufrieden die Hände reiben. Und beim nächsten Regierungswechsel werden die Rollen wieder umgekehrt sein.
DAS SYSTEM IST DAS PROBLEM. DARUM KANN DIE LÖSUNG KANN NUR IN EINER SYSTEMÄNDERUNG LIEGEN.
Es ist wie immer: Die Personen wechseln, das System bleibt das gleiche. Darum sollte langsam klar werden, dass nicht die Personen und Parteien das eigentlich Problematische sind: Das System ist das Problem.
Interessant ist, dass zwar alle sich beschweren, wenn sie zeitweilig nicht die Nutznießer, sondern die Benachteiligten dieses Systems sind, aber dass keiner das System selbst verändern will. Weil alle davon profitieren. Nicht zur selben Zeit, aber abwechselnd. Deshalb sagt man, es funktioniert. Es ist systemische Korrumpierung, aber sie funktioniert — für ihre Nutznießer. Also wird lautstark gejammert, aber niemand stellt das System an sich in Frage. Das Grundübel heißt staatlicher Einfluss auf die Wirtschaft.
So lange nicht erkannt wird, dass der staatliche Einfluss auf das Management von Unternehmen nicht bloß dann verwerflich ist, wenn nicht die „eigenen Leute“ dort schalten und walten können, sondern grundsätzlich: so lange wird sich an dieser systemischen Korrumpierung der Wirtschaft durch den Staat nichts ändern.
Scheinlösungen gibt es zuhauf, aber die lindern nur die Symptome des Grundübels. Die einzige grundlegende Lösung heißt völlige Autonomie aller staatseigenen und staatsnahen Unternehmen von staatlichen Beeinflussungen.
ES BRAUCHT EINE REFORM DES VERSTAATLICHTENGESETZES
Wenn nun gegen die Umfärbung des Verbunds wie gegen die des ORF protestiert wird, so muss eigentlich darüber nachgedacht werden, wie sie von jeglicher staatlichen Beeinflussung bewahrt werden können. Die Lösung ist nicht, dass schön proporzmäßig ein Gleichgewicht zwischen Linken und Rechten herrscht! Das wäre so als ob man in Italien zufrieden wäre, wenn im Staatsapparat ein Gleichgewicht zwischen Camorra und ’Ndrangheta herrschte. Ein Gleichgewicht zwischen zwei Übeln ergibt noch lange nichts Gutes! Die einzige grundlegende Lösung sind Strukturen, die es allen politischen Kräften verunmöglichen, personell Einfluss auf jene Unternehmen zu nehmen. Und das nicht bloß auf dem Papier (wie geduldig das ist, zeigen die OECD-Guidelines / Governance Standards):
„Die Regierung sollte den staatseigenen Unternehmen völlige operative Autonomie zur Verwirklichung der gesetzten Ziele gewähren und sich nicht in die Betriebsführung einmischen. Die Regierung als Anteilseigner sollte davon absehen, die Ziele staatseigener Unter nehmen auf nicht transparente Weise neu zu definieren.“ (S.38)
Einflüsse auf den operativen Bereich sind nicht nachweisbar, wenn sie indirekt passieren — über Führungskräfte, die ihre Karriere bestimmten Parteien verdanken und sich mit der von ihnen erwarteten Loyalität revanchieren. Daher nimmt das Postenkarussell nach jeder Veränderung der Stimmenverhältnisse durch eine Wahl wieder Fahrt auf. Und daher kann man für diesbezügliche grundlegende Lösungen nicht auf diejenigen zählen, die von diesem System abwechselnd profitieren: auf die Politiker, gleich welcher Couleur.
So wie es es ein zweites Rundfunkvolksbegehren braucht, das den Proporz im ORF nicht nur auf dem Papier abschafft, braucht es auch eine Reform des Verstaatlichtengesetzes, das in staatseigenen oder staatsnahen Unternehmen mit jeglichem politischen Einfluss bis ins letzte aufräumt. Die OECD fordert ganz richtig, dass der Staat dort wie ein Treuhänder des eigentlichen Eigentümers, der Öffentlichkeit agiere (vgl.o. S.31). Treuhänderisch zu agieren heißt, die Interessen von jemand anderem wahrzunehmen und nicht die eigenen. Dieses Prinzip muss auch in allen staatsnahen und -eigenen Unternehmen konsequent durchgezogen werden — durch eine völlige Unabhängigkeit dieser Betriebe von der Politik.
Über alle weiteren Fragen — wer definiert die Unternehmensnormen, -policy, -ziele, und wie, wer besetzt die Posten, wer evaluiert, kontrolliert, interveniert ggf. korrigierend… –: über all diese Fragen können erst Überlegungen angestellt werden, wenn jene Unternehmen absolut unabhängig von der Politik werden und insbesondere wenn die Führungskräfte in keinerlei Abhängigkeitsverhältnis zu bestimmten Parteien mehr stehen.
EINE VOM STAAT UNABHÄNGIGE WIRTSCHAFT IN VERFASSUNGSRANG
Es wird durch die aktuellen Volksbegehren in Österreich und in der Schweiz wieder heftig diskutiert, ob Volksentscheide nicht die falschen Mittel sind, um den Regierungskurs zu beeinflussen. Repräsentative Demokratie, so die Kritiker, bedeute eben, die gewählte Regierung arbeiten zu lassen. Dahinter steckt oft der Verdacht, dass die Bürger zu wenig informiert oder schlicht zu blöd seien, um so komplizierte Dinge beurteilen zu können. Darum sollen sie ihre gewählten Vertreter arbeiten lassen und sich nicht in Dinge einmischen, von denen sie nichts verständen. – So explizit kommt die Kritik an direkt-demokratischen Verfahren i.d.R. nicht daher, aber es ist zwischen den Zeilen zu lesen. Und so ganz unberechtigt ist sie nicht. Beurteilen kann ich nur, wovon ich etwas verstehe. Also sollte ich nicht überall dort mitreden können, wovon ich nichts verstehe.
Aber das gilt nicht für das, was ich hier vorschlage. Dafür bedarf keiner überragenden Intelligenz und auch keines besonderen Wissens. Denn das Prinzip ist ganz einfach: Der Staat hat sich nur um seine eigenen Sachen zu kümmern — darum, die Rahmenbedingungen und Spielregeln für die verschiedenen Gesellschaftsbereiche zu definieren (Legislative) und sie durchzusetzen (Exekutive). (Wie wichtig auch eine vom Staat unabhängige Judikative für die Demokratie ist, sieht man dzt. in Ungarn, Polen, in den USA…!) Was innerhalb dieser Rahmenbedingungen im wirtschaftlichen und geistigen Leben passiert, soll dort eigenständig entschieden werden können. Das ist nicht schwierig zu verstehen. Um das als richtig und notwendig anzusehen, reicht der Hausverstand. Umsetzen müssen es dann Menschen mit der nötigen Kompetenz, das ist klar. Aber ob ein Unternehmen von Personen geführt werden solle, die sich durch Partei-Loyalität für diesen Posten qualifiziert haben, oder von solchen, die allein ihre Fähigkeiten für diese Aufgabe qualifizieren: das kann jeder mündige Bürger beurteilen und entscheiden. Also kann und sollte die Bevölkerung diese Grundsatzfrage beurteilen und entscheiden. Und zwar durch eine „Gesamtänderung der Bundesverfassung“.
Warum? Normale Gesetze können jederzeit wieder mit der nötigen Parlamentsmehrheit verändert werden. Eine absolute Mehrheit im Parlament (mit dem Fraktionszwang als i-Tüpfelchen!) kann sie jederzeit wieder abändern oder rückgängig machen. Eine Gesamtänderung der Bundesverfassung hingegen bedarf nicht nur einer Zweidrittelmehrheit im Parlament, sondern auch einer Volksabstimmung. Wenn die Autonomie der staatseigenen und staatsnahen Unternehmen per Novelle in Verfassungsrang erhoben wird, ist ihre dauerhafte Unabhängigkeit wirklich gesichert.
[Diese in kürzeren Abständen erscheinenden Beiträge setzen sich mosaikartig zu einem neuen Gesamtgesellschaftsmodell zusammen. Dieses entwickelt sich, wenn es nicht daran gehindert wird, überall und jederzeit aus den jetzigen Verhältnissen. Der eigentlicher Sinn und Zweck dieser Essays ist also ihre konkrete Umsetzung — im Kleinen wie im Großen. Dafür müssen sie weiter verbreitet werden. Vielen Dank dafür im Voraus!]